Die geplante Gaspipeline von Spanien nach Frankreich soll statt über die Pyrenäen durchs Mittelmeer führen. Das verzögert den Bau, erhöht die Kosten – und verringert die Widerstände.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Erst die Adjektive, dann die Details. Die gefundene Lösung sei „europäisch, solidarisch, grün und zukunftsorientiert“, ließ die spanische Umweltministerin Teresa Ribera twittern. Das wird sich noch zeigen müssen. Zunächst einmal haben die Staats- und Regierungschefs Manuel Macron aus Frankreich, Pedro Sánchez aus Spanien und António Costa aus Portugal bei einem Treffen in Brüssel am Donnerstag beschlossen, dass die einst geplante Gaspipeline von Spanien nach Frankreich über die Pyrenäen nicht gebaut wird. Als Alternative haben sie sich eine Pipeline durchs Mittelmeer von Barcelona nach Marseille vorgenommen. Weil aber Gaspipeline nicht gut klingt, haben sie ihr Vorhaben „Grüner Energie-Korridor“ getauft. Einzelheiten sollen bis zum 9. Dezember geklärt werden, wenn sich die drei Männer in Alicante wiedertreffen.

 

Spanien brach Bauarbeiten wieder ab

Die Nachricht ist für Deutschland interessant, weil auf der Iberischen Halbinsel angeschifftes Gas einen Teil des von Europa importierten russischen Gases ersetzen könnte: an die 40 Prozent nach einer Studie der portugiesischen Regierung. Es fehlen aber große Rohrleitungen von Süd nach Nord. Die hielt bis vor kurzem niemand für nötig, weder Spanien noch die Europäische Union – und Frankreich schon gar nicht, weil das Land unter gewöhnlichen Umständen kein iberisches Gas braucht, es aber nach Deutschland durchleiten müsste. Der offenbar fehlende Bedarf für die transpyrenäische Pipeline veranlasste die Spanier Anfang der 2010er Jahre, nach kurzer Zeit die schon begonnenen Bauarbeiten dafür wieder zu stoppen. Erst der russische Einmarsch in der Ukraine erinnerte die Europäer Ende Februar dieses Jahres daran, dass eine Vernetzung der nationalen Energiesysteme mehr Vor- als Nachteile hat.

Frankreich aber sperrte sich. Für die Gasleitung über die Pyrenäen hätte auf gut 130 Kilometer Länge französischer Boden aufgerissen werden müssen, ohne dass die betroffenen Gemeinden offensichtlichen Nutzen davon gehabt hätten. Solidarität zu üben ist schwieriger als sie zu empfangen. Macron, Sánchez und Costa fanden am Donnerstag die Zauberlösung des Konflikts: die Leitung durchs Meer. „Fische protestieren nicht“, twitterte der bekannte spanische Journalist Enric Juliana, als er von dem Vorhaben erfuhr.

Bau im Meer leichter durchsetzbar

Die Barcelona-Mittelmeer-Marseille-Lösung hat auf den ersten Blick zwei gravierende Nachteile gegenüber der Pyrenäen-Pipeline: Sie ist deutlich teurer und wird deutlich länger für ihre Verwirklichung brauchen. „Fünf, sechs oder sieben Jahre“, sagte Umweltministerin Ribera am Freitag in einem Radiointerview. Andere Fachleute halten zehn Jahre für realistischer. Der spanische Teil der Leitung übers Land wäre in acht Monaten zu machen gewesen, hatte die Ministerin erst kürzlich versprochen. Auf französischer Seite hätte es voraussichtlich länger gebraucht, aber nicht so lange wie der Bau der Meeresleitung. Was den Preis angeht, gibt es bisher nur grobe Kostenschätzungen: über den Daumen 2 Milliarden Euro – gegen geplante 450 Millionen Euro für das Pyrenäenprojekt.

Der Vorzug der Mittelmeerlinie ist ihre Durchsetzbarkeit: Ob der Schaden an der Natur, den ein solches Megaprojekt mit sich bringt, im Meer geringer ist als an Land, wäre eine Frage für eine detaillierte Studie; jedenfalls ist der Schaden unter Wasser weniger sichtbar. Dass die drei Staats- und Regierungschefs von einem „grünen Korridor“ sprechen statt von einer Gaspipeline, hat mit der künftigen Funktion der Rohrleitung zu tun: Statt Erdgas soll sie eines Tages nachhaltig erzeugten Wasserstoff aus dem Süden in den Norden liefern. Zurzeit wird dieser sogenannte „grüne Wasserstoff“ per Elektrolyse aus Wasser hergestellt, braucht also viel Strom, der im sonnigen Süden grundsätzlich günstiger gewonnen werden kann als im grauen Norden. Spanien macht sich große Hoffnungen als europäischer Wasserstofflieferant der Zukunft. Was noch fehlt, sind die Leitungen in den Norden.