Am Wochenende findet der Parteitag der Piraten in Offenbach statt. Sie arbeiten an einem Programm - aber weit sind sie noch nicht gekommen.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Offenbach - Der Tübinger Student Sebastian Nerz ist Vorsitzender der Piraten. Daraus zu folgern, er könnte - wie es Angela Merkel (CDU) und Sigmar Gabriel ( SPD) selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen - die Richtlinien der Piratenpolitik bestimmen, wäre allerdings völlig falsch. Genauso falsch wäre die Unterstellung, dass Nerz diese Situation stört.

 

Wenn die Piraten an diesem Wochenende in Offenbach ihren Parteitag abhalten, darf Nerz zum Auftakt zehn Minuten sprechen. "Aber ich werde keine programmatischen Positionierungen vorwegnehmen", sagt der 28-Jährige. Nach seiner Rede wird Nerz nicht auf der Bühne Platz nehmen, sondern irgendwo im Saal. Vorrechte des Vorstands bei der Einbringung von Anträgen gibt es nicht. Jeder kann mitdiskutieren. Abstimmungsberechtigt sind alle anwesenden Parteimitglieder. "Das basisdemokratische Moment soll voll zum Tragen kommen", sagt Nerz.

Parteitage der Piraten sind ungewöhnlich, unübersichtlich - mit leichtem Hang zum Chaotischen. Bisher blieb das einer breiteren Öffentlichkeit verborgen. Aber nach dem Auftrieb in den Umfragen auf Höhen bis zu zehn Prozent und dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus stehen die Piraten unter ganz anderer Beobachtung. Die Zeit der politischen Unschuldsvermutung geht zu Ende.

Top-40-Liste der meistgewünschten Themen

Seit dem Wahltriumph in Berlin ist die Mitgliederzahl von 12.000 auf 18.000 hochgeschnellt. In Offenbach werden zwischen 1500 und 1800 Mitglieder erwartet, genauer vorhersagen lässt sich das nicht. Die ursprüngliche Planung war für ungefähr die Hälfte ausgelegt. Zwischenzeitlich wurde das Geld knapp, die Partei musste zu Spenden aufrufen. "Aber wie will man einem nackten Mann in die Tasche greifen?", fragt Aleks Lessmann, einer der Sprecher der erst 2006 gegründeten Partei.

Personalwahlen gibt es in Offenbach nicht, es ist ein reiner Programmparteitag. Aber auch dieses Wort hat bei den Piraten eine andere Bedeutung als bei FDP oder Grünen. Es gibt keinen durchkomponierten Programmentwurf aus der Führung, an dem zu feilen wäre. Auf früheren Parteitagen wurden ein paar Textbausteine vor allem zum digitalen Leben beschlossen - zu Urheberrecht, Datenschutz und der Freiheit im Internet. Für Offenbach haben sich aus der Basis heraus, die im Internet über das Programm "Liquid Feedback" ("Flüssige Rückmeldung") diskutierte und abstimmte, eine Vielzahl von Anträgen entwickelt.

Mittels Umfrage wurde eine Top-40-Liste der meistgewünschten Themen erstellt. An der Spitze stand lange Zeit ein Antrag für eine "repressionsfreie Drogenpolitik", die ein Ende der "Bevormundung Erwachsener beim verantwortungsvollen Umgang mit Rausch- und Genussmitteln" verlangt. Weit oben auf der Liste ist auch ein Antrag zur "Trennung von Staat und Religion", mit dem der Kirchensteuer der Garaus gemacht werden soll. Die Themen, die Piraten umtreiben, entziehen sich mitunter tagespolitischer Dringlichkeit.

Rainer Langhans spendete 20.000 Euro

Der Parteitag wird sich auch wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen zuwenden. Eine starke Gruppe plädiert für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das jedem Bürger unabhängig von Alter und Arbeitswilligkeit vom Staat gezahlt wird. Auch zur Eurokrise gibt es Anträge. Wohin die Piraten in dieser Frage steuern, die das ganze Land bewegt? Parteichef Nerz kann es nicht sagen. "Ich würde eine europafreundliche Position erwarten", erklärt er.

Aber sicher ist er nicht. Vielleicht fühlt sich der Parteitag auch von der Komplexität des Themas überfordert. "Es kann sein", sagt Nerz, "dass es vertagt wird." Ein einigermaßen komplettes, alle wichtigen politischen Felder abdeckendes Programm ist noch lange nicht in Sicht. Spätestens zur Bundestagswahl 2013, fordert Nerz von seiner Partei, müsse jedoch klar werden, wohin die Piraten in der Steuer-, Finanz- und Außenpolitik wollen.

Nicht alle Piraten-Fans teilen diesen Pragmatismus. Vor ein paar Tagen spendete der Alt-68er Rainer Langhans, das frühere Mitglied der Kommune I, den bayrischen Piraten 20.000 Euro. Das Geld stammt aus dem Honorar, das Langhans für seine Zeit im RTL-Dschungelcamp bekam. Langhans begründete die Spende mit seiner "großen Sympathie für die revolutionären und chaotischen Elemente" in der Partei. Die Piraten mussten ihm vor Spendeneingang versprechen, keinesfalls so zu werden "wie die etablierten Parteien".