Wenn kein Wunder mehr passiert, wird die Piratenpartei scheitern. Aber das Demokratiedefizit, das die junge Partei aufgezeigt hat, existiert tatsächlich, meint StZ-Kommentatorin Katja Bauer.

Berlin - Die Piratenpartei wird scheitern, außer es passiert noch ein Wunder. Schuld sind nicht ihre Gegner und nicht das politische System. Die Piraten versagen ganz allein. Sie hielten mit der Hoffnung ihrer Wähler einen großen Schatz in ihren Händen. Den verspielen sie nun auf furchtbare Weise.

 

Wie eine der x-beliebigen Protestparteien, die wir schon haben groß werden und wieder verschwinden sehen, verfangen sie sich in persönlichen Streitereien und stolpern über fehlende Professionalität. Das ist traurig mit anzusehen, denn die Piraten sind keine Protestpartei im herkömmlichen Sinn. Zwar gehört der Verdruss über „die da oben“ zu den Gründungsmotiven dieser jungen Partei, aber wer aktiven Piraten begegnete, der spürte meistens sehr schnell, dass sich hier nicht wie bei anderen seltsamen Truppen ein paar Meckerer mit zynischer Weltsicht trafen. Hier engagierten sich Menschen, die gemeinsam etwas anders machen wollten. Gar nicht wenige von ihnen waren bisher politikfern und plötzlich von der Idee des Gestaltens fasziniert. Als die ersten ihrer Abgeordneten vor eineinhalb Jahren in einen Landtag einzogen, als plötzlich der Höhenflug in den Umfragen begann, da fanden die Newcomer für ihre Anhänger ein schönes, weil zutreffendes Wort: Hoffnungswähler. Die Piraten schafften es, Menschen für Politik zu interessieren, die bisher abgewinkt hatten. Sie aktivierten in Berlin ein Fünftel ihrer Wähler aus dem Nichtwählerlager. Das ist, auch wenn die etablierten Parteien es nicht gerne hören, ein Erfolg für die Demokratie.

Piraten nährten die Hoffnung, Demokratie könnte offener sein

Auch wenn das Experiment nun missglückt, besteht kein Grund zu Häme. Der zeitweilige Erfolg der Piraten sagt weniger über die Partei aus, von der man heute noch nicht sagen kann, wofür sie eigentlich steht, als über deren Erkenntnis, dass sich die Politik von den Menschen entfremdet. Die Piraten machten erstens auf schwere Defizite im demokratischen System aufmerksam, und sie etablierten – was gravierender ist – zweitens als ihren Markenkern ein Versprechen, das viele Leute glaubten: das einer Demokratie, die transparenter, ehrlicher und um direkte Mitwirkungsinstrumente bereichert sein könne. In einer Situation, in der immer weniger Menschen wählen gehen, in der nicht allein Parteien, sondern viele Institutionen der Zivilgesellschaft an Bindungskraft verlieren, haben die Piraten den mündigen Bürger propagiert, der mitdenkt und mitbestimmt, und zwar nicht nur einmal alle vier Jahre – und der deshalb leichter mitmachen kann, weil das Internet bis jetzt nicht ausgeschöpfte Diskussions- und Abstimmungsmöglichkeiten bietet.

Vom Versprechen bleibt nichts übrig

Leider bleibt von diesem Versprechen nichts übrig. Schleppend arbeitet die Partei an ihrem inhaltlichen Programm. Die große Idee von der Veränderung demokratischer Prozesse wird zerstört, weil sich die Piraten nicht einmal intern auf eine Abstimmungssoftware oder auf so etwas Reizvolles wie eine Ständige Mitgliederversammlung im Netz einigen können. Dazu wurde mit Skandalen Vertrauen verspielt: mal gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten nach rechts, mal Sexismus. Und vor allem gibt es viel Wehklagen und regelmäßig Rücktritte von Menschen, die den rüden Ton in den eigenen Reihen nicht ertragen.

Das Internet erweist sich vorerst nicht als überlegenes Kommunikationsmedium, das hilft, politische Prozesse ganz neu zu organisieren, sondern als Ort, der nur so gut ist wie seine Nutzer. Im ungünstigen Fall entfaltet er durch seine Verbreitungsmöglichkeiten zerstörerische Kraft: Bei den Piraten werden andere Meinungen nicht toleriert, es wird nicht argumentiert, sondern im Schutz der Anonymität hasserfüllt, respekt- und rücksichtslos agiert. Das laugt Menschen aus und macht sie politikverdrossener, als sie je waren. Die Partei hat sich leider vorerst mit ihrer eigenen Waffe besiegt.