Der Wahlerfolg der Piraten in Berlin hat alle überrascht - am meisten sie selbst. Jetzt stehen die Emporkömmlinge mächtig unter Druck.

 

Offenbach - „Wir sind jetzt eine 8,9-Prozent-Partei, danke Berlin!“ Der Frankfurter Pirat Stefan Schimanowski begrüßt die mehr als 1000 Teilnehmer des Bundesparteitags in Offenbach. Gut doppelt so viel wie vor einem Jahr sind an den Main gekommen, um wie damals in Chemnitz über das Programm der jungen Partei zu beraten. Auch die Organisation der Versammlung ist professioneller geworden. „Die Piratenpartei ist in der Realpolitik angekommen“, jubelt ihr Vorsitzender Sebastian Nerz in seiner Eröffnungsrede. Ein bisschen anders aber wollen sie schon noch sein, die politischen Freibeuter in Orange. Mate-Trinken gehört auf dem Parteitag ebenso zur Kultur der Piraten wie Twitter und die Lust am spaßigen Umgang mit der Sprache, der ja schon die Wahl des Parteinamens bestimmt hat.

 

So haben sie aus Offenbach kurzerhand „Offenbings“ gemacht - in Anlehnung an „Bings“ für den Parteitag 2010 in Bingen. „Ich habe irgendwann angefangen mit „Offenbings“ zu twittern, und dann ist das zum offiziellen Hashtag (Twitter-Schlagwort) des Parteitags geworden“, sagt Christopher Lauer, einer der 15 Berliner Abgeordneten. Lauer gehört zu den konfliktfreudigen Köpfen der Partei und sagt von sich selbst: „Ich bin in dieser Partei dafür bekannt, dass ich relativ laut bin.“ An ihn und andere mag Nerz gedacht haben, als er vor einer Spaltung der Partei warnte und die Gemeinsamkeiten beschwor. „In der Piratenpartei wollen wir einen neuen Stil, und das darf nicht bedeuten, dass wir Schimpfwörter auf Twitter austauschen. Über Twitter und Facebook kann man keinen Streit beilegen, aber man kann ihn eskalieren.“

Bei den Piraten sind viele unterschiedliche Menschen - inzwischen schon mehr als 18.000 - mit einem bestimmten Anliegen zusammengekommen: Das Internet soll zwar kein rechtsfreier Raum sein, aber frei bleiben von staatlicher Gängelung. Doch in Offenbach „geht es um viel mehr Themen, bei denen der Bürger Antworten von uns erwartet“, sagt der Diplomphysiker Volker Dyken aus Backnang bei Stuttgart. „Wir sind eine Partei, die sich längst nicht nur mit ihren Kernthemen beschäftigt.“

Die Frage nach der Ideologie

In der Wirtschafts- und Sozialpolitik tun sich Gräben auf zwischen den Piraten, die auch der Parteitag sichtbar macht. „Wir sind nicht in der FDP meiner Meinung nach“, kritisierte eine Berliner Piratin in der Debatte über „Grundlagen und Ziele piratiger Politik“. In dem Antrag für eine neue Präambel zum Programm sei ihr „zu viel Marktwirtschaft drin“. In der Abstimmung fand denn auch keiner der Anträge zu den gesellschaftlichen Grundvorstellungen der Piraten die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Mehrere Redner wandten sich dagegen, die Partei auf irgendeiner ideologischen Basis zu verankern. „Es ist nicht möglich, Ideologie vollständig zu vermeiden“, sagt Parteichef Nerz im Gespräch mit der dpa. „Letztlich geht es da um Entscheidungen, die sich auf das Menschenbild oder das Bild vom Staat beziehen.“ Nerz vertritt den eher pragmatischen Flügel der Partei, die er in einer sozialliberalen Richtung positioniert sieht.

Vor allem in Berlin gibt es aber eine starke Strömung, die das Soziale stärker betont als das Liberale. Ihr geht es um ein Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), das allen Bürgern eine finanzielle Zuwendung zusichern soll, ohne dass dafür eine Gegenleistung erbracht wird. „Wir wollen ein BGE, das wäre meiner Meinung nach ein sehr wichtiges Zeichen“, sagt Lauer. Ein entsprechender Antrag gehört zu einer Top-40-Liste, die die Arbeit der Offenbacher Versammlung bestimmt und das Programm vor allem in Richtung Wirtschafts- und Sozialpolitik erweitern soll. Zu den Hoffnungsträgern der Partei gehört die Politische Geschäftsführerin Marina Weisband, die mit großem Beifall gefeiert wird. „Die Piraten haben in den letzten Monaten verdammt gerockt und verdammt viel erreicht“, ruft sie aus. „Aber bis 2013 kann noch viel passieren“, fügt sie mit Blick auf die nächste Bundestagswahl hinzu.

Sie setzt auf Bildung und Aufklärung: „Wir sind ja genau deswegen eine Partei des Informationsflusses.“ Mit Blick auf die Streitigkeiten ruft sie: „Reißt euch zusammen!“ Schließlich gehe es in der Politik um das große Ziel, „dass wir möglichst viele Menschen möglichst glücklich machen“.