Die 15-Jährigen hierzulande können im Schnitt ganz passabel Probleme lösen, deren Lösung nicht im Lehrbuch steht. Aber die Zahl der Schwachen ist bedenklich groß.
Berlin - Praktiker wissen: selten begegnen einem im wahren Leben Fragen, deren Antwort eins zu eins im Schulbuch vorgezeichnet wurde. Kommt hinzu, dass in modernen Gesellschaften die einfachen, kalkulierbaren Aufgaben von Rechnern und Robotern meist schneller gelöst werden als von Menschen. Die kommen mittlerweile oft erst dann ins Spiel, wenn die Lage unübersichtlich wird, wenn überraschende Situationen Improvisation, logisches Denken, Mut zum Risiko erfordern und auch die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen. Das können Computer (noch) nicht. Und deshalb sollten Jugendliche solche Fähigkeiten haben, wenn sie eine Berufsperspektive haben wollen.
„Kreative Problemlösung“ nennen das die Bildungsforscher, die im Auftrag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Pisa-Daten der Erhebung von 2012 auf diese Fähigkeiten hin ausgewertet haben. 85 000 Schüler im Alter von 15 Jahren wurden dabei in 44 Ländern auf die Probe gestellt. So mussten die Schüler zum Beispiel an einem ihnen fremden Fahrkartenautomaten das für sie günstigste Ticket ziehen. Sie mussten eine Klimaanlage einstellen, bei der die Tasten nicht beschriftet sind, einen MP3-Player bedienen und den jeweils kürzesten Weg ergründen, zu Freunden zu gelangen. Zwei Drittel der ihnen gestellten Aufgaben, die mit dem Begriff „Alltagsprobleme“ passend umschrieben sind, mussten die Schüler am Computer lösen. Deshalb konnten die Forscher später anhand der Auswertung der Handlungsschritte nachvollziehen, ob die Schüler einfach nur geraten haben oder ob sie versuchten, vorhandene Informationen zu einem abstrakten Lösungsmodell zusammenzufügen, das dann über das Prinzip Versuch und Irrtum im besten Fall bis zum gewünschten Ergebnis weiterentwickelt wurde.
Die Deutschen schnitten dabei etwas besser als der Durchschnitt ab. Die Forscher sehen sie im oberen Mittelfeld. Nicht überragend, aber auch nicht schlecht. Erneut belegen die asiatischen Länder Singapur, Korea und Japan die Spitzenplätze. Die besten Europäer gehen in Finnland zur Schule. Spitzenreiter Singapur erzielte 562 Punkte, Deutschland 509. Der Mittelwert in den verglichenen Industrieländern liegt bei 500 Punkten.
Das Ergebnis hat in der Bildungsdebatte Gewicht. Pisa ist der weltweit größte Schultest, der seit 2000 alle drei Jahre von der OECD organisiert wird. Das Kürzel steht für „Programme for International Student Assessment“. Der erste Test hatte im Jahr 2000 in Deutschland wegen der ausgeprägten Schwächen im Lesen und im Textverstehen den sogenannten „Pisa-Schock“ ausgelöst, auf den mit zahlreichen Reformen reagiert wurde.
Jungs sind besser – fragt sich, warum?
Interessant an der aktuellen Studie sind aus deutscher Sicht vor allem die Details. So stimmt nachdenklich, dass rund 20 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland nicht in der Lage sind, etwas komplexere Alltagsprobleme wie das Ziehen einer günstigen Fahrkarte zu bewältigen. Sie erreichen nicht einmal das Basisniveau. In Japan und Korea sind dies nicht einmal sieben Prozent. Rund 13 Prozent der deutschen Schüler zählen zu den leistungsstärksten Problemlösern. Das ist international betrachtet kein schlechter Wert, auch wenn es in Japan und Korea 20 Prozent in diese Kategorie schaffen.
Denn der OECD-Durchschnitt liegt bei elf Prozent. Bemerkenswert ist aber, dass in der Spitzengruppe sich hierzulande mehrheitlich Jungen (60 Prozent) tummeln. In Ländern, in denen die berufliche Gleichberechtigung der Frauen weiter fortgeschritten ist (Kanada, Finnland, Schweden, Norwegen), besteht dagegen kein signifikanter Unterschied. Der Hauptautor der Studie, Francesco Avvisati, vermutet deshalb, dass in Ländern mit eher traditionellen Rollenmodellen in den Familien bei den Jungen stärker auf Spitzenleistungen geachtet wird.
Interessant ist auch, dass die soziale Herkunft das Ergebnis weniger stark beeinflusst, als dies in den klassischen Disziplinen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen der Fall ist. Das legt den Schluss nahe, dass auch ein sozial raueres Klima die Alltagstauglichkeit von Kindern positiv prägen kann. Dennoch ist auch hier ein signifikanter Einfluss der sozialen Herkunft erkennbar.
Überrascht hat die Forscher, dass die deutschen Schüler insgesamt hinter den Erwartungen zurückblieben, die ihre jüngsten Ergebnisse in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen geweckt hatten. Das gelte vor allem für das leistungsschwächste Drittel. Die Pisa-Bildungsforscher führt dies zu der Vermutung, dass die ohnehin schon schwachen Schüler kaum mit komplexeren Aufgaben konfrontiert würden, weil die gemeinsame Entwicklung von Lösungen von Lehrern einen hohen Zeitaufwand abverlangen würde.