Fast zwei Jahrzehnte nach dem Pisa-Schock zeigt die Leistungskurve der deutschen Schüler erneut nach unten. Beim neuen Pisatest schnitten sie in allen drei Bereichen schlechter ab als vor drei Jahren.

Berlin - Als im Jahre 2001 die erste Pisa-Studie vorgestellt wurde, löste das hierzulande einen wahren Bildungsschock aus. Die Studie wies nach, dass Deutschland im internationalen Vergleich der Industrienationen mächtig hinterherhinkte. Im Jahrzehnt danach haben wir aufgeholt, aber seitdem geht es nicht mehr recht weiter. Das zeigt auch die aktuelle Studie aus 2018. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 

Was ist die Pisa-Studie überhaupt?

Es gibt keine größere Vergleichsstudie von Schulleistungen. Seit 2000 werden alle drei Jahre weltweit Hunderttausende von Schülern im Alter von 15 Jahren getestet. Dieses Mal, in der mittlerweile siebten Runde, nahmen 600 000 Schüler aus 79 Ländern teil. In Deutschland beteiligten sich rund 5500 Schüler. Der Schwerpunkt lag diesmal die Lesekompetenz. Aber auch der Bildungsstand in Mathematik und den Naturwissenschaften wurde untersucht.

Welche Ergebnisse machen Mut?

Im Allgemeinen können die 15-jährigen Schüler in Deutschland gut Texte verstehen, nutzen und bewerten. Sie sind damit leistungsstärker als der Durchschnitt der Jugendlichen in den OECD-Staaten, eine Organisation 36 hoch entwickelter Industriestaaten. Der Anteil der Schüler, die besonders gut lesen können, ist in Deutschland seit 2009 auf 11 Prozent gewachsen und ist damit größer als im OECD-Durchschnitt. Auch im Mathematik und Naturwissenschaften liegen die Leistungen über dem OECD-Durchschnitt, in diesen Bereichen sind sie sogar deutlich besser, ohne aber die Spitzengruppe zu erreichen.

Welche Ergebnisse machen Sorgen?

Leider eine ganze Reihe. Zwar liegt Deutschland über dem Schnitt, aber in allen drei untersuchten Gebieten lagen die Ergebnisse etwas unter den Leistungen von 2009. In allen drei Bereichen ist der Anteil der leistungsschwachen Schüler – also derjenigen, die das Mindestniveau in den jeweiligen Domänen nicht erreichen – erstmals seit 2015 wieder gestiegen. Der Wert liegt bei rund 20 Prozent, betrifft also jeden fünften Schüler. Zum Vergleich: Der Wert lag schon einmal bei 15 Prozent. Beim Bereich Lesen fällt auf: Auch wenn die deutschen Schüler insgesamt nicht schlecht abschneiden, sinkt die Lust aufs Lesen. Jeder zweite befragte 15-jährige in Deutschland sagte: „Ich lese nur, wenn ich lesen muss“ oder „um Informationen zu bekommen, die ich brauche“. Nur bei einem Viertel galt Lesen als „liebstes Hobby“. 34 Prozent nannten Lesen dagegen schlicht eine „Zeitverschwendung“. Und noch ein ganz wichtiger Befund: In Deutschland ist der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft der Jugendlichen und ihrer Lesekompetenz besonders stark ausgeprägt. Wer aus Familien mit niedrigem Bildungs- und Wohlstandsniveau kommt, hat häufiger eine geringe Lesefähigkeit.

Welche Rolle spielt die Zuwanderung?

Stärker als in anderen Staaten ist der Zuwanderungshintergrund in Deutschland mit dem sozialen Status verknüpft. Die Lesekompetenz der Schüler mit Migrationshintergrund hat sich seit 2009 nicht signifikant verändert. Sie erzielen weiterhin schlechtere Ergebnisse als Jugendliche ohne solchen Hintergrund (472 zu 524 Punkte). Im Vergleich zu 2009 zeigt sich insgesamt ein Zunahme der 15-Jährigen mit Migrationshintergrund um zehn Prozent.

Welche Unterschiede gibt es zwischen Jungen und Mädchen?

Wie in allen (!) Pisa-Staaten sind auch in Deutschland die Mädchen im Lesen kompetenter als die Jungen. Der Unterschied ist aber kleiner als im OECD-Schnitt und hat sich auch im Vergleich zu 2009 deutlich verringert. Der Anteil der lesestarken Jungen hat sich verdoppelt. Im Mathematik und Naturwissenschaft haben sich die Fähigkeiten der Jungen im Vergleich zu den beiden Vorgängerstudien 2012 und 2015 verschlechtert. Dadurch ist in Mathematik der Vorsprung gegenüber den Mädchen geschrumpft, in den Naturwissenschaften zeigen sich jetzt Jungen und Mädchen gleich kompetent.

Lassen sich Aussagen über einzelne Bundesländer treffen?

Nein, das ist nicht der Fall. Die Studie bezieht sich auf Deutschland als Ganzes. Für einzelne Bundesländer hat sie keine Aussagekraft.

Welche Reaktionen gab es aus dem Südwesten?

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) verzeichnet Verbesserungen. Angesichts der gestiegenen Heterogenität würden weiterhin gute Ergebnisse erzielt. „Das ist erfreulich, wenngleich wir weiterhin Handlungsbedarf haben“, erklärt sie. Es komme mehr denn je auf eine konsequente Sprachförderung von Anfang an an. Schwache wie leistungsstarke Schüler müssten gezielt gefördert werden. Das sieht Andreas Stoch, SPD, ganz anders. „Es muss unser aller Ziel sein, dass der Bildungserfolg von Kindern allein von deren Fähigkeiten und nicht von deren Herkunft abhängt“, sagt der frühere Kultusminister. Die „rückwärtsgewandte Bildungspolitik von Kultusministerin Eisenmann“ sei nicht geeignet, die Herausforderung zu lösen. Jens Brandenburg, der FDP-Bildungspolitiker und Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Rhein-Neckar, meint: „Die Pisaergebnisse sind erschreckend und beschämend. Deutschland kann an der Spitze nicht mithalten. In den vergangenen zehn Jahren haben wir keine spürbaren Fortschritte erzielt. Die soziale Herkunft entscheidet nach wie vor über den Bildungserfolg und es gibt eine enorm starke Spreizung in den Schülerleistungen. Wir brauchen endlich mehr Investitionen und bundesweit einheitliche Bildungsstandards. Bildungschancen sind die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.