Versuchter Totschlag vor einem Markgröninger Flüchtlingsheim: Der Staatsanwalt will den Angeklagten für lange Zeit hinter Gitter bringen. Beim Plädoyer verliert der Mann die Fassung.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Markgröningen - Als der Staatsanwalt sechs Jahre und neun Monate Haft forderte, war es um die Fassung des 42-jährigen Angeklagten geschehen: Er sank in sich zusammen, brach in Tränen aus und flehte in seinem letzten Wort, man möge ihm noch eine Chance geben. „Nicht wegen mir, sondern wegen meiner Familie.“ Doch da ihm vorsätzlicher versuchter Totschlag vorgeworfen wird, wird er seine Frau und seine drei Kinder voraussichtlich nicht so bald als freier Mann wiedersehen.

 

Er hatte im September 2019 einen Nachbarn vor einer Markgröninger Asylbewerberunterkunft mit einem Messerangriff lebensgefährlich verletzt: Er traf sein Opfer an der Schläfe und an der Schulter. Die Kopfwunde führte zu einem massiven Blutverlust und musste im Ludwigsburger Klinikum in einer Notoperation versorgt werden. Hätte der Angegriffene keine ärztliche Hilfe bekommen, „hätte er vielleicht noch eine bis zwei Stunden überlebt“, sagte die rechtsmedizinische Gutachterin in der Verhandlung.

Der unselige Alkohol

Der Angriff war eine Vergeltungstat: Der Angeklagte hatte einige Tage zuvor einem Besucher der Flüchtlingsunterkunft die Reifen zerstochen. Das hatte der Nachbar gesehen und bei der Polizei bezeugt. Die Reaktion des Tunichtguts: Er wollte auch dem Nachbarn die Reifen zerstechen. Weil er aber dabei nicht gefilmt werden wollte, wies er einen weiteren Nachbarn an, seine Überwachungskamera abzubauen, die dieser im Eingangsbereich der Unterkunft installiert hatte. In diesem Moment kam das spätere Opfer mit einer Mülltüte, die es gerade entsorgen wollte. Statt auf dessen Reifen stach der Angeklagte dann unvermittelt auf den Mann selbst ein.

Beim ersten Verhandlungstag hatte der Angeklagte angegeben, seine Alkoholsucht habe sein Leben zerstört. Auch zum Zeitpunkt der Tat stand er unter Alkoholeinfluss. Die psychiatrische Gutachterin erklärte am Donnerstag allerdings, er habe in der Untersuchungshaft keine Entzugserscheinungen gehabt und besitze eine „jungfräuliche Leber“. Auch zeige er keine suchtbedingten Wesensveränderungen. Also sei er auch nicht schuldunfähig oder vermindert schuldfähig. Alkohol gewohnt sei er aber durchaus, „und wenn er weitertrinkt, wird er unter Alkohol ähnlich schwere oder schwerere Taten begehen“, prognostizierte die Sachverständige. Gleichzeitig halte sie den Mann für fähig zur Selbstkritik und therapierbar.

Entschuldigungsbrief aus dem Gefängnis

Der Angeklagte hat gestanden, sich vor Gericht entschuldigt und dem Opfer einen Entschuldigungsbrief aus dem Gefängnis geschrieben. Das sei respektabel, reiche aber nicht, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. „Wenn ich jemandem in die Halsregion steche, habe ich es niemals in der Hand, wie es ausgeht.“ Die Verteidigerin des 42-Jährigen wollte keine Empfehlung zum Strafmaß abgeben, wies aber auf die „alkoholbedingte Enthemmung“, das Geständnis und die Reue ihres Mandanten hin. Das Urteil fällt nächste Woche.