Die Steuerquellen sprudeln. Union und SPD haben im Wahlkampf versprochen, die Einkommensteuer zu senken. Dazu kommt es nicht. Auf den Soli-Abbau müssen die Bürger noch Jahre warten.

Berlin - Es ist nicht neu, dass Versprechen in der Steuerpolitik eine kurze Halbwertszeit haben. Als Union und SPD 2005 über die erste große Koalition seit Jahrzehnten verhandelten, zeigte sich das bei der Mehrwertsteuer. Die CDU-Spitzenkandidatin Angela Merkel hatte zuvor im Wahlkampf eine Mehrwertsteuererhöhung um zwei Prozentpunkte angekündigt. Die SPD war seinerseits strikt gegen die „Merkel-Steuer“. Nach den Koalitionsverhandlungen dann die Überraschung: Die Mehrwertsteuer wurde gleich um drei Prozentpunkte angehoben.

 

Die Geschichte wiederholt sich jetzt unter anderen Vorzeichen. Union und SPD haben in ihren Wahlprogrammen angekündigt, die Einkommensteuern für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen zu senken. Alle drei Parteien wollten außerdem den Solidaritätszuschlag abbauen. Sowohl CDU/CSU als auch die SPD stellten Entlastungen von 15 Milliarden Euro pro Jahr in Aussicht. Seitdem das Ergebnis der Sondierungen feststeht, ist klar, dass nur ein Bruchteil übrig bleibt. Die Einkommensteuersenkung fällt ganz aus. Beim „Soli“ sollen die Bürger um zehn Milliarden Euro entlastet werden – darauf müssen sie noch bis 2021 warten. In der Zeit bis dahin verzeichnet der Bund knapp 80 Milliarden Euro an „Soli“-Einnahmen.

Regierung erwartet starke Konjunktur

Was ist mit den Vorsätzen in der Steuerpolitik geworden? Wenn die geschäftsführende Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) am Mittwoch den Jahreswirtschaftsbericht der Regierung vorlegt, wird sie ein glänzendes Konjunkturbild zeichnen. Die Staatseinnahmen eilen von Rekord zu Rekord. Im Jahr 2014, als der Bund erstmals einen ausgeglichenen Haushalt vorlegte, betrug das gesamte Steueraufkommen des Staates 644 Milliarden Euro. Bis 2021 werden sich die Steuereinnahmen laut Schätzung auf 858 Milliarden Euro erhöhen. Die Steuerzahler haben davon so gut wie nichts. Bis 2020 soll sich steuerpolitisch kaum etwas ändern. Im Wahljahr 2021 soll, so der Plan, erstmals das „Soli“-Aufkommen um die Hälfte schrumpfen. Das ändert aber nichts an einem Befund: Bürger und Unternehmen werden einen wachsenden Teil ihres Einkommens für Steuern ausgeben müssen. Grund dafür ist die kalte Progression. Sie führt zu zusätzlichen Steuerbelastungen, weil Steuersätze und Freibeträge nicht an die Inflation angepasst werden. Sichtbar wird dies auch durch die seit Jahren steigende Steuerquote: Sie gibt den Anteil der Steuerzahlungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) an. Die Steuerquote lag 2014 bei rund 22 Prozent. Bis 2021 wird sie laut Steuerschätzung auf mehr als 23 Prozent steigen. Ein Prozentpunkt mehr bedeutet, dass der Staat etwa 33 Milliarden Euro pro Jahr mehr kassiert.