Deutschland ist auf Frankreichs radikale Ideen für die EU schlecht vorbereitet. Es sollte den Aufschlag aus Paris dennoch nicht ins Leere laufen lassen, meint unser Berliner Büroleiter Christopher Ziedler.
Berlin - Die Antwort aus dem Kanzleramt ist noch am selben Tag gekommen. Frankreichs Vorschläge für eine ganz neue Zusammenarbeit in Europa würden sicher „in der deutschen öffentlichen Meinung einen starken Widerhall finden“, heißt es im Brief aus der Regierungszentrale nach Paris, und man wäre „glücklich“, wenn die Pläne Wirklichkeit würden. So war es im 1950 ein Ja „aus ganzem Herzen“, wie Kanzler Konrad Adenauer später seine Reaktion auf den bahnbrechenden Vorstoß von Frankreichs Außenminister Robert Schuman beschrieb. Der Vorläufer der Europäischen Union war geboren.
Und heute? Im Jahr 2017 muss Emmanuel Macron, der ebenfalls einen Weg nach vorn zu weisen versucht und eine „Neugründung Europas“ fordert, ziemlich lange warten. Bis Angela Merkel als wichtigste Partnerin des französischen Präsidenten in Berlin eine handlungsfähige Regierungsmehrheit hinter sich weiß, wird noch viel Wasser Seine und Spree hinunterfließen. Wenn sie wiedergewählt werden und ihrerseits eine Europarede halten sollte, lässt sich aber eines schon heute befürchten: Merkels Antwort auf Macron könnte zu kleinteilig und zu wenig visionär ausfallen.
Europa braucht mehr als kosmetische Reparaturen
Das liegt nicht allein an der Schritt-für-Schritt-Mentalität, mit der die Kanzlerin Probleme angeht. Nicht erst seit dem Wahlerfolg der EU-skeptischen AfD hat sich die Stimmungslage in Deutschland verändert: Europa mag generell wieder besser gelitten sein, sobald es jedoch um konkrete Vorstellungen oder gar Visionen geht, nehmen Bedenken überhand. Seit vielen Eurokrisenjahren ist klar, dass es mehr als kosmetische Reparaturen braucht und über kurz oder lang eine Generalüberholung nötig ist. Eine echte Debatte darüber, welches Europa Deutschland gerne hätte, fand bisher aber kaum statt. Deutschland ist schlecht vorbereitet auf Macron.
Wer dessen Vorschläge neben die Wahlprogramme der Parteien legt, die die nächste Regierung bilden sollen, erkennt Leerstellen. In Sachen Euro haben Merkel und ihre CDU sich bisher nur zu einem europäischen Währungsfonds bekannt, zur Terrorabwehr soll es mehr Austausch zwischen Behörden geben, eine Verteidigungsunion samt eigenem Fonds bekommt ihre Unterstützung. Und der Flüchtlingskrise will sie Herr werden, indem die EU-Staaten „die Grenzschutzagentur Frontex stärken und das Europäische Asylsystem vollenden“. Macron denkt in allen Punkten radikaler: Er will ein Eurozonenbudget, über das ein Finanzminister wacht, Staatsanwälte, die grenzübergreifend Terroristen jagen, eine europäisch finanzierte Eingreiftruppe für internationale Konflikte, die Öffnung nationale Armeen für EU-Ausländer, eine gemeinsame Asylbehörde, die zentral über Anträge auf Schutz in Europa entscheidet.
Geschickte Angebote Richtung Jamaika
Macron hat eine mutige, auch geschickte Rede gehalten. Er hat keine Milliardensummen für die Eurozone beziffert, was Merkel Spielräume eröffnet. Er hat Angebote an die Jamaika-Partner in spe unterbreitet: Grüne lesen von einem Mindestpreis für jede Tonne des Klimakillers CO2, Liberale von einer Vollintegration der Märkte Deutschlands und Frankreichs bis 2024. Nicht zuletzt hat der Präsident Ideen entwickelt, denen auch EU-Skeptiker etwas abgewinnen könnten – wenn etwa Frankreich selbst auf einen eigenen Kommissar verzichten würde, damit „Brüssel“ effektiver arbeitet. Die Idee einer gemeinsamen Truppe, um bei Naturkatastrophen zu helfen, gehört in dieselbe Kategorie.
All dies spricht dafür, dass die deutsche Politik den französischen Aufschlag retournieren und nicht ins Leere laufen lassen sollte – im deutschen wie im europäischen Interesse. In den anstehenden Koalitionsverhandlungen sollte die Europapolitik daher eine zentrale Rolle einnehmen, vielleicht sogar mit einem sozialeren Einschlag, den Macron vermissen lässt. Um Antwort wird gebeten, Frau Merkel!