Am Höchstleistungsrechenzentrum wird bald eine neue Computergeneration in Betrieb gehen. Dann soll auch die enorme Abwärme sinnvoll genutzt werden.

Über dem Höchstleistungsrechenzentrum auf dem Unicampus in Stuttgart-Vaihingen steigen Wasserdampfwölkchen in den Himmel. Weil ein Anschluss und ein Abnehmer fehlen, verpufft an der Nobelstraße enorm viel Energie in die Atmosphäre. Noch. Mit dem Neubau für die übernächste Rechnergeneration „Herder“ (Hirte) soll sich das ändern. „Spätestens beim Spatenstich Ende 2024 wird klar sein, wie man unsere Abwärme nutzt“, verspricht Professor Michael Resch.

 

2027 zieht komplett neue Technik ein

Resch ist seit dem Jahr 2003 der Direktor des flinken Rechenzentrums, dessen Hardware immer mit einem H beginnt. Zurzeit löst „Hawk“ (Falke) komplexe Fragestellungen, vom Jahr 2024 an soll als Übergang in eine neue Technologie „Hunter“ (Jäger) einziehen, 2027 dann „Herder“, ein Exaflop-Supercomputer mit unglaublicher Leistung. Wer heute die Belastung eines kleinen Teils eines Implantats im Hüftknochen berechnen kann, will bald wissen, wie sich das ganze Implantat überall im Knochen verhält, einschließlich Zellwachstum. Und wer heute Klimasimulationen für Deutschland erstellt, will womöglich wissen, welchen Einfluss der Abbrand des Regenwalds in den Tropen hat. Auch da könnte „Herder“ sehr helfen.

32 Millionen Kilowattstunden ungenutzt

„Der Anspruch an die Rechenleistung ist praktisch unbegrenzt“, sagt Resch. Der Energiehunger der Systeme allerdings fast auch. Heute benötigt das Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) pro Jahr etwa 32 Millionen Kilowattstunden (kWh). Der Exaflop-Computer, für den der Rechnerraum in einem Neubau von 750 auf 1000 Quadratmeter wächst, wird den Bedarf um bis zu 30 Prozent auf 41 Millionen kWh treiben. Dazu werde einen neue 11-Megawatt-Anschlussleitung benötigt, sagt Kai-Uwe Ebert, der Abteilungsleiter Technik im Universitätsbauamt. Eine Wasserkühlung temperiert das neue System auf 30 bis 35 Grad, bewahrt es so vor einem Hitzeschlag. Die Wärme aber muss weg, sie wird über ein extra Kühlwerk in die Luft abgeführt. Derzeit verdampfen noch bis zu 32 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, auch wenn ein Teil der Wärme vom HLRS selbst bereits genutzt wird.

Alle wollen Nachhaltigkeit

Mit dem Neubau an der Nobelstraße 17, der auch Bürofläche für 40 Mitarbeitende aufnimmt, soll das Abwärmeproblem gewinnbringend gelöst werden. Wissenschafts-, Umwelt- und Finanzministerium hätten ein massives Interesse daran. „Alle wollen, dass das HLRS nachhaltiger wird“, sagt Resch. Er auch. Bereits als Student konnte der promovierte Ingenieur seinen Vermieter davon überzeugen, dass ein Fernwärmeanschluss besser und günstiger wäre als der Weiterbetrieb der alten Heizung.

Billiges Gas verhinderte Abwärmenutzung

Abnehmer der Rechnerwärme soll die Uni selbst sein. Über ein Nahwärmenetz und eine Heizzentrale, die Gas und Öl verbrennt, wird der gesamte Campus versorgt. Eine Machbarkeitsstudie sagt, dass „Herder“ umgerechnet rund 4800 Haushalten einheizen oder einen Teil des Bedarfs an der Uni decken könnte. Ideen, die Abwärme zu nutzen, gab es schon lange. „Allerdings haben sie sich wegen der günstigen Gaspreise nie gerechnet“, sagt Ebert. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine änderten sich die Verhältnisse schlagartig. Seit Mitte 2022 hat das Bauamt nun einen Planungsauftrag, das Land zahlt. Das Wasser, das die Prozessoren kühlt, erreicht künftig laut Ebert 42 Grad. Über einen neuen Rohrleitungskanal werde der Ringschluss mit dem Bestandsnetz hergestellt. Neubauten könnten so künftig mit geringerer Vorlauftemperatur versorgt werden, für die alten Unigebäude bringe eine neue Großwärmepumpe direkt neben dem Abwärmegebäude das Kühlwasser auf rund 85 Grad. Im Sommer können damit 100, im Winter 30 bis 40 Prozent des Wärmebedarfs auf dem Campus gedeckt werden, allerdings erst 2027. „Bis 2030 wollen wir den Campus klimaneutral haben“, sagt der Ingenieur Ebert. Das HLRS sei dabei ein wesentlicher Baustein. Wobei für dessen Betrieb klimaneutral erzeugter Strom Bedingung ist.

Bis 2030 soll der Campus klimaneutral sein

Die Hintergründe für den Neubau erläutert das HLRS in einer Veranstaltung an diesem Mittwoch, Nobelstraße 19. Diese Bürgerbeteiligung beginnt um 17 Uhr.