Nach der Aberkennung ihres Doktortitels wird Bundesbildungsministerin Annette Schavan zu einer schweren Belastung für Angela Merkel und die gesamte Union.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Es gibt ein Foto, das Annette Schavan anhaftet wie ein übles Gerücht. Sie wird es nicht mehr los. Es zeigt die CDU-Ministerin an der Seite ihrer Busenfreundin, der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Beide blicken auf Merkels Handy und scheinen sich dabei zu amüsieren. Sie feixen. Und dieses Feixen wird später als politische Botschaft interpretiert. Das Bild ist im März 2011 auf der Computermesse Cebit in Hannover entstanden – just zu der Stunde, als in Berlin der seinerzeitige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Rücktritt erklärte. Nun muss Schavan befürchten, dass sie selbst demnächst Anlass für hämische Reaktionen jener Art bietet – aus ähnlichen Gründen.

 

Die Bildungsministerin hatte den Sturz des Politstars aus Bayern damals enorm beschleunigt. Nachdem offenbar geworden war, dass Guttenberg seine Doktorarbeit zusammenkopiert hatte, durchbrach Schavan als erste das Schweigen der regierenden Kaste. „Ich schäme mich nicht nur heimlich“, gab sie in einem Interview zu Protokoll. Damit nahm die Entthronung des CSU-Freiherrn seinen Lauf. Das freimütige Bekenntnis wird Schavan nun einholen wie eine verdrängte Sünde. Nun ist es an ihr zu reagieren.

Ein neuer Fall Guttenberg?

Der Fall ist nicht mit Guttenbergs Dissertationsklitterei zu vergleichen. Und gleichwohl wiegt die Aberkennung des Doktortitels hier noch schwerer als damals. Schließlich bekleidet Schavan nicht irgendein Amt in Merkels Kabinett. Ihr Ressort heißt Bildung, Wissenschaft und Forschung. Da wird die Kanzlerin sich kaum erneut zu einer Bemerkung verleiten lassen, wonach sie einen Politiker eingestellt habe und keine wissenschaftliche Hilfskraft. Eine Wissenschaftsministerin, die als Wissenschaftlerin degradiert ist? Das vermag sich auch in der eigenen Partei kaum einer vorstellen. Zumal Schavan in Unionskreisen beileibe nicht nur Freunde hat.

Es ist keine x-beliebige Ministerin, die jetzt vor dem Absturz steht, kein Kabinettsmitglied, das die Kanzlerin leichten Herzens austauschen würde. Schavan zählt zu den engsten Vertrauten Merkels. Die zwei Politfrauen mögen grundverschieden sein, was ihre Herkunft und Ausbildung betrifft. Doch sie eint vieles – Schavan, die katholische Geisteswissenschaftlerin aus dem Rheinland, und Merkel, die protestantische Pfarrerstochter mit Physikdiplom aus dem Osten. Beide pflegen einen sehr sachorientierten Politikstil, der wenig Aufhebens von der eigenen Person macht. Beide verstehen es, ihre wahren Absichten zu verbergen. Beide mussten sich in einer Männerwelt behaupten. „Wir sind neugierig auf unsere unterschiedlichen Perspektiven“, so hat Schavan das Geheimnis ihrer Freundschaft zu Merkel umschrieben. Es wird ihr jetzt wohl nichts mehr helfen.

Die Frage ist, wie weit die Loyalität der Union reicht

Bis jetzt gibt sich die ihres akademischen Titels beraubte Ministerin kämpferisch. Erst vor zehn Tagen ließ sie sich im Wahlkreis Ulm zur Bundestagskandidatin küren und verzeichnete dabei solidarische 96 Prozent der Delegiertenstimmen – obgleich sie an der heimischen Parteibasis nicht immer wohl gelitten war. Aus der CDU-Spitze hatte sich die Ministerin freilich schon im vergangenen Jahr zurück gezogen. Schavan war bis dahin die dienstälteste Stellvertreterin der Parteichefin.

Die hatte sich bisher bedeckt gehalten, was den Kampf ihrer Freundin um die akademische Ehre angeht. Sie ließ streuen, dass sie nicht an ihr zweifle. Das bekräftigte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, dessen politisches Leben einst an der Seite Schavans bei der Jungen Union in Neuss begonnen hatte. Er vertraue Schavan „uneingeschränkt“, versicherte Gröhe am Montag, „daran hat sich nichts geändert“. Ob das weiter gilt, muss sich weisen. In den Führungsgremien der CDU gibt es andere Stimmen, nicht ohne Einfluss. „Wenn sie den Titel verliert, wird sie sich nicht halten können“, verlautete aus der Riege der Merkel-Stellvertreter. CDU-Strategen orakeln: „Natürlich gibt es eine Loyalität, die wir ihr schulden – und eine, die sie uns schuldet.“ Merkel wird sich zu Beginn des Wahljahres kaum eine Debatte über die Lauterkeit ihrer Gefährtin an Bein ketten wollen.

Die Ministerin ohne Doktor bewegt sich auf heiklem Terrain. Sie ist am Montag zu einer Südafrika-Reise aufgebrochen. Für heute steht ein Auftritt auf dem Campus der Cape Peninsula University in Kapstadt auf Schavans Tourprogramm, falls sie bis dahin noch ihr Amt behält. Vieles spricht dafür, dass sie erst einmal die Reaktionen auf den Titelentzug abwarten wird. Wenn es bei dem angekündigten Programm bleibt, dann trifft Schavan um 14 Uhr ihren Kollegen Chris Nhlalpo. Er darf sich noch Doktor nennen.