Hat Ministerin Annette Schavan bei ihrer Doktorarbeit bewusst getäuscht? Der Fall ist komplizierter als der von Karl-Theodor zu Guttenberg. Mit Spannung wird nun auf die Bewertung der Uni gewartet.

Stuttgart - Die E-Mail der Universität Düsseldorf klingt trotzig: Auf wenigen Zeilen hält sie fest, die zuständigen Gremien hätten „zu keiner Zeit öffentlich Stellungnahmen abgegeben oder sich an Spekulationen beteiligt“. Sie würden das auch weiterhin nicht tun. Doch irgendjemand hat eine 75-seitige hochschulinterne Stellungnahme zur Doktorarbeit der Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) an den „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ gegeben.

 

Für Wolfgang Löwer ist die Indiskretion ein Skandal: „Darüber lässt sich weiter nicht reden“, sagt er, „das darf nicht passieren.“ Löwer ist Rechtswissenschaftler an der Universität Bonn, doch er äußert sich als Sprecher des „Ombudsmannes für die Wissenschaft“. An dieses dreiköpfige Gremium der Deutschen Forschungsgemeinschaft können sich zum Beispiel Forscher wenden, die unsaubere Praktiken eines Kollegen anzeigen wollen. Löwer sagt zwar, dass es schwierig sei, in einem offenen System wie der Wissenschaft etwas geheim zu halten, doch er verweist auf die Plagiatsverfahren der vergangenen Monate, in denen es funktioniert hat.

Der Ausschuss wird der Fakultät eine Empfehlung geben

Für das formale Verfahren spielt die Vorveröffentlichung Löwer zufolge keine Rolle. Er erwarte zwar „massenhafte Vorverurteilungen“, aber die Universität dürfe sich davon nicht beeinflussen lassen. „Das sollte jedenfalls so sein“, ergänzt er, „aber das ist leichter gesagt als getan.“ Am Mittwoch soll der Promotionsausschuss der Philosophischen Fakultät tagen. Er wird von Stefan Rohrbacher geleitet, dem Prodekan, der dem Institut für Jüdische Studien vorsteht und die interne Stellungnahme verfasst hat. Hinzu kommen drei Professoren, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter und eine Studentin. Der Ausschuss wird der Fakultät eine Empfehlung geben. Die wird dann über einen Entzug des Doktorgrads entscheiden. Ob es dafür einen Zeitplan gibt, ist unklar.Für die Verwaltungsgerichte, erläutert Löwer, werde entscheidend sein, ob die Ministerin getäuscht hat und ob sie auch die Absicht dazu hatte. Rohrbachers Stellungnahme soll tatsächlich mit der Feststellung enden, es sei „eine leitende Täuschungsabsicht . . . zu konstatieren“ – wegen der Vielzahl der Fundstellen und des allgemeinen Musters. Löwer will jedoch nicht von einem Gutachten sprechen, sondern nur von einer „Sachverhaltsfeststellung“. Rohrbacher habe die verdächtigen Stellen geprüft. Ob seine Schlussfolgerung aber „von jedem Kollegen geteilt wird, muss sich noch weisen“.

Als im Mai der Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder der Ministerin vorwarf, sie habe auf 55 Seiten ihrer Doktorarbeit bei sich selbst abgeschrieben, fragten sich viele, was daran problematisch sein sollte. Zumindest heute zitieren sich Wissenschaftler gerne selbst, um auf ihre weiteren Publikationen verweisen zu können. Nach Informationen des „Spiegel“ sieht Rohrbacher jedoch keine Anhaltspunkte für verbotene Eigenplagiate in Schavans Dissertation. Aufgefallen ist ihm vielmehr der Umgang mit der Sekundärliteratur. Mit diesem Begriff werden Forschungsbeiträge bezeichnet, die nicht auf eigenen Überlegungen beruhen, sondern vielmehr die Thesen der Kollegen zusammenfassen. Lehrbücher fallen darunter, doch Studierende werden im Laufe des Studiums immer stärker dazu angehalten, auch die Originalliteratur zu lesen.

Das habe Schavan, so der Vorwurf in der Stellungnahme, nicht durchweg getan. Laut „Spiegel“ kritisiert Rohrbacher, dass die Ministerin an manchen Stellen den Eindruck erwecke, sie beschäftige sich mit dem Original, obwohl sie nur eine Darstellung aus der Sekundärliteratur umgeschrieben habe – ohne diese Quelle zu nennen.Sollte das zutreffen, müsste die Philosophische Fakultät prüfen, ob Schavan auf diese Weise die Leistung anderer in großem Stil als eigene ausgegeben hat. Auch in pointierten Zusammenfassungen kann schließlich viel Arbeit stecken. Für Wolfgang Löwer ist die Frage nicht einfach zu beantworten: „Nach allem, was ich lese, ist der Fall erheblich komplizierter als der von Karl-Theodor zu Guttenberg.“

Kernthese „in weiten Teilen auch heute noch diskutabel“

Rohrbachers Fundstellen sollen vor allem aus dem zweiten Teil der Arbeit stammen. Dort referiert Schavan den damaligen Stand der Forschung zu ihrem Thema: den Theorien über das Gewissen. Die Berliner Erziehungswissenschaftler Dietrich Brenner und Heinz-Elmar Tenorth haben in der „FAZ“ argumentiert, dass man „die spezifische Leistung der Autorin“ aber gerade „jenseits der Rekapitulation der Literatur“ finde, und dass ihre Kernthese „in weiten Teilen auch heute noch diskutabel“ sei. Schavan hatte in ihrer Doktorarbeit begründet, warum sich Erzieher bei der Gewissensbildung mit der Zeit zurücknehmen und stattdessen mehr mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen sollten.