Ein Ausstellungsplakat der Kunsthalle Tübingen darf in Stuttgart nicht aufgehängt werden, weil es einen nackten Mann aus Silikon zeigt.  

Tübingen - Wer hat Angst vorm nackten Mann? Die Frage stellt sich beim Blick auf ein Ausstellungsplakat der Kunsthalle Tübingen. Die Antwort, so meint man, müsste eigentlich nach einem ersten Blick einstimmig lauten: "Keiner, keiner." Doch mehr als einer scheint zumindest Zweifel zu haben. Die Stadt Stuttgart zum Beispiel hat der Kunsthalle Tübingen das Aufhängen der Plakate untersagt. "Mit dem Porträtieren von Nackten habe man Probleme", so die Auskunft an den Kurator der Tübinger Kunsthalle, Daniel Schreiber. Und nicht nur die Stadt Stuttgart, auch die "Süddeutsche Zeitung" erteilte Schreiber eine Absage. Die Zeitung lehnte den Abdruck einer Anzeige mit dem Motiv ab. Die Begründung: "zu große Freizügigkeit".

 

Zugegeben, der Mann auf dem Plakat ist vollkommen nackt, auch auf den zweiten Blick. Doch keinesfalls so nackt wie Gott ihn schuf, sondern wie ihn der kanadische Künstler Evan Penny modellierte. Bei dem nackten Mann auf dem Plakat zu Pennys Ausstellung "Re Figured" in der Tübinger Kunsthalle handelt es sich um eine täuschend echte Figur aus eingefärbtem Silikon. Ihre Künstlichkeit ist den Skulpturen von Penny - vierzig von ihnen werden in der Ausstellung zu sehen sein - aber spätestens auf den zweiten Blick anzusehen. Sie enthalten Verfremdungseffekte, sind meist ein wenig verzerrt oder gestaucht.

Sinnbilder für Zensur

Der nackte menschliche Körper ist von jeher ein klassisches Thema der bildenden Kunst. "Der Akt ist bereits in der Antike kultiviert worden", sagt Schreiber, Penny komme aus einer alten Bildhauertradition und habe das Thema nur nach heutigen Möglichkeiten umgesetzt. "Da ist kein Sex und keine Pornografie im Spiel", sagt Schreiber, den die Diskussion ein wenig belustigt. Er habe mit solchen Reaktionen überhaupt nicht gerechnet. "Es ist schon peinlich, wie manche nun meinen, hier die Sittenpolizei spielen zu müssen", sagt er. 330 Plakate sind gedruckt und sollten in Stuttgart und Umgebung aufgehängt werden, denn die Ausstellung beginnt bereits am 2. Juni. Nun bleiben die Plakate erst einmal zusammengerollt.

Doch ein Ausweg aus der Bredouille liegt nicht fern. Schon immer gab es elegante Lösungen, um etwas zu verstecken, von dem jeder weiß, dass es sich an dieser Stelle befindet. So wurde Michelangelos David mit Feigenblatt vatikantauglich gemacht, ein schwarzer Balken leistete für Kinoplakate blickdichte Dienste. Feigenblatt und schwarzer Balken sind allerdings auch Sinnbilder für Zensur.

In der Kunsthalle Tübingen lässt man nun prüfen, ob die Plakate aufgehängt werden dürfen, wenn an exponierter Stelle ein Zettel mit der Aufschrift "Zensur" kleben würde. Ob dies genehmigt wird, ist noch unklar. Den Künstler will Daniel Schreiber vorerst nicht informieren. Vielmehr will er sich die Geschichte als kleine Anekdote für die Ausstellungseröffnung aufsparen, sozusagen als Bericht fast nackter Tatsachen.

Update vom 20. Mai 2011:

Die Plakate zur Ausstellung „Re Figured“ von Evan Penny in der Kunsthalle Tübingen, auf denen ein modellierter nackter Mann zu sehen ist, dürfen voraussichtlich doch in Stuttgart aufgehängt werden. Die Stadtverwaltung erklärte am Donnerstag, von der Stadt sei kein Verbot ausgegangen. Die Firma Ströer, die für die Außenwerbung in Stuttgart zuständig ist, hatte sich bei ihrer Absage an die Kunsthalle Tübingen allerdings auf ein Verbot der Stadt Stuttgart bezogen. So richtig will es nun niemand gewesen sein. Sowohl die Stadt Stuttgart, als auch die Firma für Außenwerbung waren um Aufklärung des Falls bemüht. In Tübingen wartet man derweil noch auf eine offizielle Freigabe des Plakats.