Oben rum ist’s ein junger Mann mit nacktem Oberkörper, unten rum eine Garnele. Ist diese Sushi-Werbung sexistisch? Die SSB hat die Plakatkampagne in der Stadtbahn erst genehmigt, nun aber gestoppt. Zahlen sich Verbote für die Auftraggeber aus?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Japans populärster Beitrag zur internationalen Küche schmeckt nicht allen. Sushi ist im Trend und boomt weiterhin in Stuttgarts Gastronomie. Gleichzeitig gibt es aber nicht wenige Genießer, die man mit rohem Fisch jagen kann. Wie’s beim Essen ist, ist’s auch bei der Plakatkampagne eines Sushi-Restaurants. Die einen gefällt es, wie darin die Liebe zum Fisch dargestellt wird, ganz nach dem Motto „Fishing for compliments“. Andere aber halten die Fotos für geschmacklos und sexistisch. Vor allem die Unterzeile „I like it raw“ stößt auf Kritik. Im Englischen steht dieser Ausdruck für ungeschützten Sex. Die SSB AG hat nach Beschwerden nun reagiert und die etwa 50 Plakate mit verschiedenen Motiven aus den Stadtbahnen entfernen lassen.

 

Die SSB AG räumt Fehler ein

Birte Schaper, die Leiterin der SSB-Pressestelle, räumt Fehler ein. Das Unternehmen habe mit den Kampagnenmachern und der beauftragten Agentur die Brisanz dieser Werbung zu spät erkannt. Die Kampagne mit 20 Einzelmotiven hing bereits seit vier Wochen und war zunächst erlaubt worden. Erst danach kam die Diskussion wegen Fahrgastklagen auf. Die Genehmigung sei zu spät zurückgezogen worden. „Die Entscheidung hätte bereits zuvor anders ausfallen sollen“, sagt Schaper. Für die Werbekunden sei eine „nachvollziehbar unbefriedigende Situation“ entstanden, weshalb es nur folgerichtig sei, wenn die SSB AG „die entstanden Ausgaben für die ausgefallene Buchungsperiode zurückerstattet“.

Gegenüber unserer Zeitung unterstreicht die Pressechefin, dass sich die SSB als öffentliches Unternehmen „in einer besonderen Verantwortung“ sieht. Darum verfolge sie seit 1988 eine freiwillige Selbstverpflichtung, nach der „beispielsweise das Sittlichkeitsgefühl verletzende, pornografische, religiöse, weltanschauliche oder politische Werbung auf SSB-Werbeflächen nicht zulässig ist“. Nur einzelne Motive der Sushi-Kampagne könnten kritisch bewertet werden, was wohl dazu geführt habe, alles zu genehmigen. Weiter erklärt Birte Schaper: „Eine Einschätzung, ob ein Motiv den ÖPNV-Fahrgästen als akzeptabel oder als nicht akzeptabel erscheinen wird, ist nicht immer leicht zu treffen“. Der Anteil der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung sei hoch. Selten finde man Kriterien, die für alle Menschen gleichermaßen gültig seien.

„Sonst wird das spießige Ländle nie zu einem weltoffenen Land“

„Auf unseren Motiven sind in aller Regel Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter von uns zu sehen, die von Modefotografen stilvoll in Szene gesetzt werden“, sagt Karin Büttner, die Geschäftsführerin des Restaurants I love Sushi im Stuttgarter Westen, „es sind keine Models.“ Wenn mutige Werbung gestoppt werde, könne das „spießige Ländle“ niemals zu einem „weltoffenen Land“ werden, meint sie. Das Beispiel zeige, „wie sich einzelne Kleingeister immer noch mit ihrer vorsintflutlichen Einstellung durchsetzen“. Der Slogan „I like it raw“ zeige an, dass es rohen Fisch gibt. Dass dieser Begriff aber auch Sex ohne Kondome bedeutet, habe man in dem Restaurant oder bei der Agentur nicht gewusst.

„Auf dem beanstandeten Motiv ist Karl, unser Mitarbeiter, zu sehen“, verrät Karin Büttner. Und Karl fühle sich keineswegs sexistisch vorgeführt. Auch die Kritik, man sollte nicht Menschen in ein tierisches Essen legen, hier also in Form einer Garnele auf einem Reisbett, weist die Chefin zurück. „Schon in der griechischen Mythologie sind Menschen halb als Tier dargestellt worden“, betont sie. Mit dem zurückbezahlten Geld will das Restaurant I love sushi nun eine „Plakatkampagne für Diversität“ starten. Etliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lokals seien schwul oder lesbisch. Das Lokal hat eine Spendensammlung gestartet, damit die Motive künftig an anderen Stellen in der Stadt aufgehängt werden können.

Was ein Experte für Social Marketing zur Sushi-Kampagne sagt

„Die besten Kampagnen sind oft die, die verboten werden“, sagt Philipp Hagebölling von der Agentur Innovation Heroes, ein Experte des Social Marketings. Aus Sicht des Sushi-Restaurants sei also alles richtig gelaufen. Was verboten ist, wolle nun mal „jeder sehen“, erklärt er. Damit werde eine viel höhere Reichweite erreicht. Freche und provokante Werbung sorge für hitzige Debatten im Netz, womit ein Ziel von Agenturen erreicht sei, so Hagebölling. Doppeldeutige Botschaften seien gewollt. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) seien dabei Vorbild für viele Kampagnen geworden. Unter dem Hashtag #weilwirdichlieben postet das Social-Media-Team von BVG eine Bandbreite von schnoddrig-bösen bis zu romantisch-schönen Beiträgen – Shitstorms seien dabei willkommen. Die größte Strafe für Werber ist, wenn alle zufrieden sind.