Der Schokoladenhersteller Ritter Sport hat eine eigene Kakaoplantage in Nicaragua aufgeforstet – ein Projekt, das in seiner Dimension einzigartig ist und das sowohl für einheimische Beschäftigte, die Natur und das Unternehmen von Nutzen sein kann.
El Rama - Besucher auf El Cacao werden zur Begrüßung gehörig durchgeschüttelt. Nach den ersten fünf Stunden Autofahrt, die von der im Westen Nicaraguas gelegenen Hauptstadt Managua einmal quer durch das mittelamerikanische Land führt, endet die gut befahrbare Straße abrupt und es beginnt ein eineinhalbstündiger Schleudergang. Auf der durch den Regenwald geschlagenen Schotterpiste zeugen etliche Baustellen davon, dass es voran geht. Auch hier wird in nicht allzu ferner Zukunft eine Straße entlangführen, doch einstweilen garniert der ebenso abrupt einsetzende Schauer den ohnehin holprigen Weg auch noch mit Matsch und Schlamm.
Am Ziel wartet das, was Ritter Sport stolz als „größte zusammenhängende Kakaoplantage der Welt“ bezeichnet: seine Farm, die Finca El Cacao. In den vergangenen knapp sechs Jahren hat das Waldenbucher Familienunternehmen auf 2500 Hektar Weideland seine erste eigene Kakaoproduktion aufgebaut. Auf der einen Hälfte der Fläche wurde Kakao gepflanzt, auf der anderen Regenwald aufgeforstet oder Feuchtgebiete belassen.
Der Schokoladenhersteller ist hier zum Kakaobauern geworden, in einer ungewöhnlichen Größenordnung. Kakao wird in wichtigen Anbaugebieten Zentral- und Südamerikas, aber auch Afrikas überwiegend von Kleinbauern kultiviert, die nur wenige Hektar Land bewirtschaften. Über Zwischenhändler wird der Kakao an Schokoladenproduzenten weiterverkauft – oft auf undurchsichtigen Lieferketten, sodass sich Kinderarbeit nicht ausschließen lässt. Einer der größten Einkäufer ist Barry Callabaut. Auch bei den Schweizern ist Ritter Kunde – noch.
El Cacao soll bald ein Drittel des benötigten Kakaos liefern
Ihr Nachhaltigkeitsziel, 100 Prozent zertifizierten Kakao zu verarbeiten, haben die Schwaben zu Beginn dieses Jahres erreicht. Spätestens von 2025 an, wenn El Cacao seinen vollen Ertrag erreicht, wollen sie auch 100 Prozent ihres Bedarfs von 10 000 bis 12 000 Tonnen Kakaomasse aus Direktbezug erhalten, mit der Möglichkeit, die Rohstoffe transparent bis zum Bauern zurückverfolgen zu können. Rund 30 Prozent des benötigten Kakaos sollen dann von der eigenen Plantage kommen.
Pünktlich zur ersten, wenn auch mit rund 100 Tonnen noch überschaubaren Ernte können sich die Gäste davon überzeugen, wie der Mittelständler seine Idee von nachhaltigem Anbau und Agroforstwirtschaft umsetzt und sich damit gleichzeitig unabhängiger von schwankenden Weltmarktpreisen machen will. Allerdings müssen sie dafür früh aufstehen. Um kurz nach fünf Uhr am Morgen, eine Stunde bevor die Sonne aufgeht, unterbricht das Hupen und Grollen großer Lastwagen das Urwaldkonzert; Vögel, vor allem penetrante Dohlengrackel, Brüllaffen und Grillen liefern sich nachts einen Wettstreit um die akustische Oberhoheit. Nun tauchen die Lichter der Pritschenwagen aus der Dunkelheit auf, die die Feldarbeiter zur Plantage bringen. Sie sammeln sich vor einem Holzschuppen, wo sie für den Tag eingeteilt werden: zum düngen, mulchen, ernten, zur Auspflanzvorbereitung oder zum Baumschnitt. Von den 350 Mitarbeitern, die Ritter in Nicaragua beschäftigt, arbeiten etwa die Hälfte direkt auf der Plantage.
Elvin Rubina gehört dazu. Der 27-Jährige arbeitet seit vier Jahren als Traktorist auf El Cacao. Davor war er auf einer Palmölplantage. „Hier verdiene ich mehr“, sagt er. Das Einstiegsgehalt der Feldarbeiter liegt mit 178 US-Dollar (145 Euro) um 20 Prozent über dem Mindestlohn in Nicaragua, später kann es auf rund 200 Dollar ansteigen. Elvin und die anderen Arbeiter klettern auf die Lastwagen, die sie zu ihren Einsatzorten bringen.
Angestrebter Vollertrag sind 45 Früchte pro Pflanze
Die ältesten Kakaobäume auf der Plantage sind gut fünf Jahre alt, die jüngsten sind gerade drei Monate und stehen noch in der Aufzuchtstation. „Hier fängt die Kakaoproduktion an“, sagt Danilo Valle. Vivero, die Baumschule, steht am Beginn der Wertschöpfungskette, an dessen Ende ein Kunde irgendwo auf der Welt eine Tafel Schokolade von einem Kassenband nimmt. Der 55-jährige Agraringenieur ist als Bereichsleiter Landwirtschaft einer der wichtigsten Mitarbeiter auf El Cacao. Er weiß wahrscheinlich am besten, wie man eine Kakaopflanze aufziehen und behandeln muss, damit sie optimal aufwächst und nach fünf oder sechs Jahren den angestrebten Vollertrag von mindestens 45 Kakaofrüchten trägt.
Um Danilo herum stehen auf der Fläche eines Fußballfeldes dicht an dicht rund 120 000 Jungpflanzen, die ihm gerade bis knapp unter die Hüfte reichen. Es ist eine von drei Baumschulen auf der Finca. Der kleine Mann, der sein freundliches rundes Gesicht unter eine Baseballkappe verbirgt, greift sich eine Handvoll Erde aus einem der Töpfe. „Die Mischung machen wir selbst, damit die Anteile an Kalk, Kalium und Phosphat stimmen“, erklärt er. Die Pflanzen ziehen die Mitarbeiter auf der Plantage aus Samen der eigenen Kakaofrüchte hoch. Die Züchtung ist eine Wissenschaft für sich, bei der zwölf unterschiedliche Sorten miteinander kombiniert werden. Jede einzelne Jungpflanze wird mit genetischem Material der Ursprungssorten – einem Zweig von einem der ersten Bäume – veredelt, die sogenannte Pfropfung, um später einen möglichst robusten und hochwertigen Kakao zu gewinnen. „Die veredelten Pflanzen bleiben noch weitere zwei Monate in der Baumschule, danach werden sie aufs Feld gepflanzt“, erklärt Danilo.
Dort steht Darwin Navarete und bespricht mit Kollegen die nächsten Arbeitsschritte. Bäume müssen verschnitten werden, um den Ertrag zu steigern. Um ihn herum wachsen aber nicht nur Kakaopflanzen. Für Agroforstwirtschaft ist es charakteristisch, dass zwischendrin immer wieder andere Bäume, etwa Akazien, Bananenpalmen, Teakbäume oder Mahagoni stehen, die später ein Dach bilden, das dem Kakao Schatten spendet. Der 25-Jährige hat Agrar- und Forstwirtschaft studiert. Am Ende seines Studiums kam er 2015 für ein Praktikum auf El Cacao – und ist geblieben. Mittlerweile leitet Darwin eine von acht etwa hundert Hektar großen Zonen auf der Plantage und ist verantwortlich für 19 Mitarbeiter, die auf seine Anweisung hin die Kakaobäume bearbeiten.
Ritter Sport lässt sich die Aufzucht der Kakaobäume etwas kosten
Fachkräfte wie er verdienen bis zu 560 US-Dollar. Dazu kommen – wie bei allen Mitarbeitern – Sozialleistungen, der Transport zur Plantage, Verpflegung und medizinische Versorgung. Für den jungen Mann offenbar gute Argumente, um im Zwei-Wochen-Rhythmus zwischen seiner Familie im 450 Kilometer entfernten Leon und El Cacao zu pendeln. „Wenn er dort einen vergleichbaren Job mit vergleichbarem Verdienst gefunden hätte, wäre er nicht bei uns“, sagt Volker Schuckert.
Der 57-jährige Leiter von El Cacao, einer von zwei Deutschen, die dauerhaft auf der Plantage sind, ist ein ungewöhnlicher Typ. Für Ritter Sport arbeitet der gebürtige Kurpfälzer erst seit wenigen Monaten, doch auf Plantagen hat er sein halbes Arbeitsleben verbracht, zuletzt auf einer Teeplantage in Indien und einer Kaffeeplantage in Tansania. Für die Erfahrung, im Herbst seines Berufslebens für ein mittelständisches Familienunternehmen zu arbeiten, „in dem langfristige Pläne wichtiger sind als Quartalsergebnisse oder Aktienkurse“, wie er sagt, fällt den redseligen Farmer mit der grauen Cargohose, dem karierten Kurzarmhemd und dem Panamahut nur ein Wort ein: „unbezahlbar“.
Die Freiheit, etwas zu tun, was bisher kein anderer Schokoladenproduzent in vergleichbarer Größenordnung gewagt hat, ließ sich Ritter Sport etwas kosten. Ungefähr 30 Millionen Euro haben die Waldenbucher in den vergangenen sechs Jahren in den Aufbau von El Cacao gesteckt. Das Geld floss in weit mehr als die Aufzucht von 1,5 Millionen Kakaobäumen: 70 Kilometer Straßen und Wege sowie viele Brücken wurden auf El Cacao gebaut, Stromleitungen wurden verlegt und Brunnen gegraben. Dazu entstand ein eigener Fuhrpark sowie einfache Wohn- und Wirtschaftsgebäude.
Fruchtschneider macht das Öffnen mit Hand und Machete unnötig
Auch auf technischem Gebiet ist der Schokoladenproduzent neue Wege gegangen und nicht nur zum Farmer geworden, sondern auch gleich noch zum Maschinenbauer. Ingenieure aus Waldenbuch haben eine Anlage entwickelt, deren Prototyp seit kurzem auf El Cacao im Einsatz ist: einen Fruchtschneider, der das gefährliche Öffnen der Früchte per Hand und Machete unnötig macht. Es handelt sich um schwäbischen Tüftlergeist in Reinform. In die zimmerhohe Apparatur werden auf der einen Seite die geernteten Kakaofrüchte eingefüllt, innen spalten scharfe Messer die Schale auf, in einer Trommel werden Bohnen und Schale getrennt. Die Maschine soll später einmal 20 000 Früchte pro Stunde knacken. Doch vorher wird sie, noch in diesem Jahr, durch einen von externen Experten optimierten Fruchtschneider ersetzt.
Yadira del Carmen Polanco Ramirez steht hinter der Maschine und sortiert gewissenhaft Reste von Schalen aus einem glitschigen Berg Kakaobohnen und Fruchtfleisch. Die 30-Jährige überwacht auch die Warenannahme, dokumentiert Temperaturen beim Trocknungsprozess und kontrolliert die Maschinen. „Ich bin vor einem Jahr zu Ritter Sport gekommen, habe damals in der Baumschule angefangen und bin dann hierher gewechselt“, sagt sie. Für den Job hat sie den Umzug von der Hauptstadt Managua auf sich genommen, wo sie in einer Näherei beschäftigt war. Heute verdient sie besser und lebt ganz in der Nähe der Plantage bei ihrer Schwester.
Wenn Yadira mit dem Aussortieren fertig ist, werden die Bohnen abgewogen und in eine weitere Apparatur der Marke Eigenbau gefüllt: eine kombinierte Fermentierungs- und Trocknungsanlage. Durch die Kombination der beiden Schritte würden ein paar Tage eingespart, aber vor allem müssten die Bohnen nicht mehr aufwendig von Mitarbeitern per Hand gewendet werden. Es sind die letzten Verarbeitungsschritte des Kakaos in seiner Heimat, bevor er in 60-Kilo-Jutesäcken abgefüllt nach Costa Rica gefahren wird und von dort in Containern den Seeweg über den Atlantik nach Deutschland antritt.