Könnte man die Kernfusion nachahmen, wie sie etwa in der Sonne abläuft, dann wären die irdischen Energieprobleme auf einen Schlag gelöst. Tatsächlich arbeiten Plasmaphysiker weltweit daran. Sie kämpfen aber mit vielen Problemen – darunter auch politischen Hürden.

Stuttgart/Greifswald/Garching - Die Sonne produziert Energie seit rund 4,6 Milliarden Jahren auf nachhaltige Weise. Der Mensch kann die Kernfusion erst seit dem 1. November 1952 künstlich erzeugen – und hatte die Gewalt dieser Energie zunächst auch nicht im Griff. An jenem Novembertag brachten die USA um 7:14:04 Uhr Ortszeit auf dem Eniwetok-Archipel im Pazifik die erste Wasserstoffbombe namens „Ivy Mike“ zur Explosion. Die Detonation war so gewaltig, dass die Insel verschwand. Doch seitdem treibt Forscher weltweit die Frage um: Ließe sich diese gewaltige Energie nicht auch zum Wohle der Menschheit zähmen? Immerhin könnte ein Gramm Fusionsbrennstoff in einem Kraftwerk 90 000 Kilowattstunden Energie freisetzen, was einer Verbrennungswärme von 11 Tonnen Kohle entspräche. Diese Form der Kernenergie würde keine radioaktiven Rückstände mit sich bringen – es gäbe also auch das Problem der Endlagerung nicht.

 

Als Antwort auf diese Frage entstanden in den folgenden Jahren zwei Arten von Fusions-Experimentalreaktoren: der Stellarator, 1951 von dem US-Fusionsforscher Lyman Spitzer vorgeschlagen, und ein Jahr später der russische Tokamak, von den sowjetischen Physikern Andrei Sacharow und Igor Jewgenjewitsch Tamm entwickelt. An beiden Konzepten arbeiten internationale Teams bis heute parallel.

Beide Typen gibt es in Deutschland

In Deutschland werden Anlagen beider Typen betrieben – in Garching der Tokamak namens ASDEX Upgrade (Axialsymmetrisches Divertorexperiment) und in Greifswald der Stellarator namens Wendelstein 7-X. Letzterer steht unter der Leitung von Thomas Klinger. Beide Fusionsreaktoranlagentypen schließen heißes komprimiertes Gas – also Plasma – in einem ringförmigen Magnetfeldkäfig ein.

In einem Tokamak wird ein Teil des Feldes von äußeren Magnetspulen aufgebaut und der andere Teil von einem im Plasma fließenden elektrischen Strom erzeugt, der pulsweise von einem Transformator induziert wird. „Stellaratoren wie unser Wendelstein 7-X arbeiten dagegen mit einem Feld, das allein durch komplex geformte äußere Spulen erzeugt wird. Und dadurch wird der Dauerbetrieb dieses Fusionsreaktortyps möglich“, sagt Thomas Klinger.

Die Frage lautet: In welcher der Maschinen lässt sich Plasma am besten herstellen und auf Dauer kontrollieren? Das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen ist zwar eine schöne Vorstellung, das Bild trifft den Kern der Sache aber nicht genau: „Auf der Sonne haben wir das Verschmelzen von leichten Wasserstoffkernen“, so Klinger. „Damit es hinreichend häufig geschieht, so dass viel Energie dabei frei wird, ist ein Druck von zehn hoch elf bar notwendig – das ist eine Eins mit elf Nullen. Diesen Druck kann man auf der Erde nur für Bruchteile von einer Millionstel- oder Milliardstelsekunde handhaben.“

Soll also die Kernfusion auf der Erde kontrolliert ablaufen, muss das Plasma anders zusammengesetzt sein: Statt Wasserstoffkernen wird schwerer und superschwerer Wasserstoff genommen. Es sind zwei Isotope, zwei Geschwister des normalen Wasserstoffs, die viel leichter miteinander verschmelzen: Deuterium und Lithium. Das geschieht unter einem Druck von zwei bar, was dem Luftdruck in einem Autoreifen entspricht. „Er wird kontrolliert, also gut steuerbar, aufgebaut“, erklärt Klinger, „während in der Wasserstoffbombe explosionsartig der hohe Druck durch eine vorgeschaltete Atombombe und damit wie im Innern der Sonne die Kernfusion erzeugt wird. Das sind ganz absurde Bedingungen, mit denen wir überhaupt nichts zu tun haben.“

Auch laufe im Fusionsreaktor keine Kettenreaktion wie etwa in den „normalen“ Atomkraftwerken ab. „Beim Fusionsreaktor ist es einfach ein Brennprozess, der gut gesteuert werden muss, damit das Brennen gleichmäßig verläuft und vor allem nicht ausgeht. Letzteres ist eher das Problem“, betont Klinger.

Kernfusionsreaktoren sind keine Bomben

Wer zum ersten Mal in der Halle in Greifswald vor dem Wendelstein 7-X steht, ist verwirrt von den zahlreichen Gerüsten, Kabeln und Spulen, die den silberglänzenden ringförmigen Behälter von fünf Meter Höhe und 16 Meter Durchmesser als dichtes Netz umgeben. „Man muss sich zuerst einmal einen recht großen Ring vorstellen, ähnlich einem Wurstring“, veranschaulicht Klinger. „Dieser Ring setzt sich zusammen aus einzelnen Magneten, die eine in sich verwundene Form haben. Diese Magnete sind nicht eben, sondern verdreht. Und die Verdrehung ist so gewählt, dass das gewünschte Magnetfeld entsteht.“ Ein Röntgenblick würde die hinter der Stahlwand liegenden verwundenen Magnete zeigen. Sie sitzen in einem Vakuum, da sie, um supraleitend zu sein, auf minus 270 Grad, also nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273 Grad) heruntergekühlt werden müssen. Dazu sind gewaltige Kühlmaschinen notwendig. „Im Innern sitzt dann noch ein weiteres Stahlgefäß, das leer gepumpt ist“, erläutert Klinger weiter. „Es wird mit sehr wenig Gas gefüllt. Und dieses Gas wird dann mit hoher Mikrowellenleistung von 10 Megawatt auf bis zu 100 Millionen Grad aufgeheizt, so dass Plasma entsteht.“

Eine Wurst mit echtem Potenzial

Die Arbeitsweise des Stellarators ist bis dato von anderen Fusionsforscherkollegen als schwierig eingestuft worden. Amerikanische Forscher haben sich nach den ersten Versuchen deshalb von dem Stellarator-Konzept verabschiedet. Jetzt aber, wo Hochleistungscomputer für die entsprechenden Berechnungen zur Verfügung stehen und sich zeigt, dass die silberne „Wurst“ durchaus „Handelspotenzial“ besitzt, beteiligen sich die USA wieder mit 20 Millionen Dollar. Ab Dezember soll zunächst für wenige Sekunden das Plasma aufgebaut werden, in späteren Jahren dann bis zu 30 Minuten.

Doch es geht nicht nur darum, einen Prototyp eines allgemein verwendbaren E- Kraftwerks zu bauen. Dazu sind noch weitere Entwicklungsschritte notwendig – und damit auch Anlagen von noch viel größeren Dimensionen. Eine davon ist in Cadarache (Südfrankreich) mit dem internationalen Experimentalreaktor Iter vom Typ Tokamak im Bau. Er ist 29 Meter hoch und 8000 Tonnen schwer. Mit diesem Reaktortyp hat die internationale Forschergemeinde die meiste Erfahrung. Auch Wissenschaftler des IPP wirken mit. Der Iter soll 500 Megawatt Fusionsleistung erzeugen – rund zehnmal mehr, als zum Aufheizen des Plasmas verbraucht wird.

Aber der Weg bis zum Ziel ist voller Hindernisse. Nach neuesten Meldungen wird der Bau des Iter in Cadarache mit 15 Milliarden Euro teurer werden als geplant. Der Bau wird außerdem wohl auch länger dauern als angenommen. Der Grund dafür: neben den technologischen Herausforderungen sind laut einem BMBF-Papier– „ineffektive Zusammenarbeit und unklare Rollen- und Verantwortungsverteilung“ unter den Iter-Teilhabern verantwortlich.

Das sei jedoch nicht verwunderlich, wie Sibylle Günter, Direktorin am MPI in Garching, erklärt. Ihr Institut entwickelt Bauteile für Iter: „Dazu muss man aber auch sagen, dass die politischen Randbedingungen extrem schwierig sind. Reagan und Gorbatschow haben Iter als großes Friedensprojekt aus der Taufe gehoben. Und es ist ja auch beeindruckend, wenn 35 Länder (die 50 % der Weltbevölkerung repräsentieren) gemeinsam an einem Projekt arbeiten, das die künftige Energieversorgung sicherstellen soll. Dabei wurde aber auch festgelegt, dass jeder der sieben Partner (Europa zählt als einer dieser sieben Partner) jede Technologie lernen soll.“

Das bedeutet, dass viele Entwicklungsschritte mehrfach (bei verschiedenen Partnern) durchgeführt werden müssen und es extrem viele Schnittstellen gibt. „Dass es bei so großen Projekten, die noch dazu etwas Einmaliges bauen sollen, Probleme gibt, ist sicher nicht ungewöhnlich“, lautet Sibylle Günters gelassenes Fazit. „Trotzdem müssen die Probleme nun endlich angepackt werden.“