Im Jahr 2019 wird Plattenhardt 750 Jahre alt. Mit Volldampf bereiten Stadtarchivar Nikolaus Back und seine Helfer eine neue Ortschronik vor. Wir verraten jetzt schon interessante Details.

Plattenhardt - Plattenhardt liegt schon so lange auf den Fildern herum, dass der Filderstädter Teilort die Würde einer neuen Ortschronik erhält: Zum 750-Jahr-Jubiläum anno 2019 bringt der Stadtarchivar Nikolaus Back ein Werk heraus, das den Lesern Orientierung durch den Verlauf der Jahrhunderte bis zur Gegenwart bietet – mit Beiträgen von Experten über die einzelnen Epochen.

 

Nikolaus Back, der als Archivar noch Geschichte und Empirische Kulturwissenschaft studiert und dann promoviert hat, stützt sich dabei auch auf Kompetenz an Ort und Stelle: Der Apotheker Carsten Wagner befasst sich mit dem Gesundheitswesen, Wolfgang Kirchner kümmert sich um den Flugpionier Jacob Brodbeck, Johannes Jauch widmet sich zeitgenössischen Gebäuden und Günter Glück fungiert als Türöffner zu Menschen, die erzählen, wie sie markante Ereignisse erlebt haben. „In den 1950er Jahren gab es nur wenig Fernsehgeräte in den Haushalten. Die Fußball-WM von 1954 verfolgten die Plattenhardter im Saal des Gasthofs Ochsen an einem kleinen Fernseher. So sah Public Viewing damals aus“, sagt Back. Gute Vorarbeit gibt es mit einer Ortschronik von 1969 zur 700-Jahrfeier: „Sie endet schon 1918. Die folgenden Jahre waren den Autoren damals wohl zu brisant.“

„Die Jugend lernt nicht nur nichts, sie verdient auch nichts“

Wer auf die Geschichte Plattenhardts im 19. Jahrhundert schaut, sieht ein deprimierendes Bild. Der Ursprung des kernigen Spitznamens „Messerstecher“ für die Dörfler, sagt Back, sei kaum zu ergründen, dennoch sei ihnen der Ruch der Gewalttätigkeit angehangen. „1913 haben zwei Wilderer einen Förster umgebracht. Das hat Aufsehen erregt“, sagt Back. Katastrophal waren im 19. Jahrhundert die Hungersnöte auf den Fildern. In den Jahren 1817 und 1818 gab es Missernten, weil der Vulkan Tambora im heutigen Indonesien 150 Kubikkilometer Gestein, Asche, Staub und Gase in die Atmosphäre geschleudert hatte. Oberamtmann Griesinger schrieb damals, dass „der Ertrag der Felder und Bäume beinahe gar nichts ist, und der Hauptreichtum, ihre Bäume, auf 1, 2, ja sogar 3 Jahre dahin sind“. Dem Wüten der Natur zum Trotz sah Griesinger auch Schuld bei den Plattenhardtern. Den Dörflern fehle es an der Bereitschaft zur Erneuerung: „Wenn die schon vor 200 Jahren gestorbenen Plattenhardter wieder in ihren Ort zurückkämen, sie würden ziemlich noch alles wiederfinden, wie sie es verlassen haben, durch das ewige Beisammen-Leben lernt die Jugend nicht nur nichts, sondern verdient auch nichts.“ Ein anderer Grund sei, dass die Plattenhardter „ihre Töchter und Söhne nicht in andere Orte zu dienen schickten“, um Neues kennenzulernen.

Gleich mehrmals fällt die Kartoffelfäule über die Felder her

Neues lernten die Wirtschaftsflüchtlinge kennen, die auch aus religiösen Gründen – es waren überwiegend Pietisten – im Jahre 1816 auswanderten. Sie sammelten sich in Ulm und fuhren in Booten, den Ulmer Schachteln, auf der Donau an die russische Grenze. Eine Gruppe wurde vom Plattenhardter Adam Böpple und dem Pliezhausener Stephan Schmid angeführt. Die Plattenhardter und Bonländer unter ihnen zogen weiter nach Georgien. Das Gros ließ sich im 1818 gegründeten Elisabethtal bei Tiflis nieder. Namentlich überliefert sind Adam Böpple, Johannes Dast, ein Schmied Fritz, Maria Schmidt und Johann und Barbara Schmid, Maria Schmidt mit ihrem Sohn Christian und dessen sieben Kinder. Auch im benachbarten Katharinenfeld sind Plattenhardter verbürgt. Im zweiten russisch-persischen Krieg 1826 überfielen persische Truppen Katharinenfeld und töteten auch einige Plattenhardter. In Elisabethtal waltete derweil der geistliche Anführer Adam Böpple, ein Separatist, der keine kirchliche Autorität anerkannte. Seine Anhänger trennten sich von der Kirche, tauften ihre Kinder selbst und weigerten sich, sie in die Schule zu schicken.

Während sich die Filderer im Kaukasus über das Seelenheil stritten, hatten die Dörfler in der Heimat ganz andere Probleme. 1824 vernichtete Hagel die gesamte Ernte, und von 1846 bis 1853 zerstörte die Kartoffelfäule die Kartoffeln. Außerdem gab es wegen mangelnder Hygiene Typhusepidemien mit vielen Toten. 1847 forderte ein Vertreter des Oberamts, „dass die alten Gebäude, an denen es an ungeordneten Abtritten noch fehle, solche binnen Jahresfrist hergestellt werden“. Das Oberamt würde dies bei Bedarf finanzieren. Weil das Geld der Gemeinde nicht ausreichte, um Bedürftige zu unterstützen, verschiffte man die Ortsarmen nach Amerika.

Als die Turnhalle gebaut wurde, war das etwas Besonderes

Lichtblicke gab es in den folgenden Jahren im Schulwesen. „1861 unterrichtete Sophie Rinker, eine der ersten Volksschullehrerinnen. Der Pfarrer war fortschrittlich und stellte sie ein. Auch im Ersten Weltkrieg wurden Lehrerinnen eingesetzt, der Chef war aber immer ein Mann“, sagt Nikolaus Back. Die Pfarrer hätten bis 1909 die Schulaufsicht gehabt. Im ausgehenden 19. Jahrhundert sei durch Vereine Leben ins Dorf gekommen: „Um 1890 begann man mit dem Turnen, und 1912 gab es eine Turnhalle. Das war etwas Besonderes.“

Der Mitarbeiterstamm des Stadtarchivars ist komplett. Dennoch hat er einen Wunsch für die Illustrierung: „Es wäre schön, wenn mir die Plattenhardter Bildmaterial zur Verfügung stellen könnten.“