Ursula Bihl ist 90 Jahre alt – und amtierende Weltmeisterin im Tischtennis. Vor zwei Jahren holte sie mir ihrer Doppel-Partnerin den Titel im fernen Asien.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Manchmal muss sie selber lachen. „Ist doch eigentlich irrsinnig, oder?“ Ursula Bihl erwartet keine Antwort. Denn das, was sie macht, ist vor allem eines: außergewöhnlich. Die Frau aus Plieningen ist 90 Jahre alt – und aktive Tischtennisspielerin. Eine gute noch dazu. Ursula Bihl ist amtierende Weltmeisterin in ihrer Klasse. Zusammen mit ihrer Doppelpartnerin Inge-Brigitte Herrmann aus dem deutschen Norden. „Die Inge ist sogar noch ein Vierteljahr älter als ich“, sagt Ursula Bihl. Ende Juni fliegen die beiden Tischtennis-Omas nach Stockholm, um den Titel zu verteidigen.

 

Wer so alt ist wie Ursula Bihl, muss ins Ausland, um Medaillen zu gewinnen. Hierzulande gehen ihr die Gegner aus. Die baden-württembergischen Meisterschaften zum Beispiel, die kann sie getrost abhaken. Ist sie doch die Einzige in der Altersklasse 85 plus, die so am Schläger hängt, als wäre er angewachsen. Und gegen 75-jährige Gegnerinnen tritt sie höchstens spaßeshalber an. „Wenn man 90 ist, machen schon fünf Jahre unglaublich viel aus“, sagt sie.

In Rio haben sie zu dritt um den WM-Titel gebuhlt

Selbst weltweit gesehen ist das gegnerische Lager schnell überblickt. 2008 in Rio de Janeiro zum Beispiel, da haben sie zu dritt um den Senioren-Weltmeistertitel gebuhlt. Eine Französin, eine Australierin und eine Deutsche. Ursula Bihl ist damals im Einzel Erste geworden. Das zweite und bisher letzte Mal nach ihrem Sieg bei der WM in Göteborg im Jahr 1982. Erfolgreicher ist sie im Doppel. „Das sind vielleicht die Nerven, ich denke zu viel beim Tischtennis“, sagt sie. Einmal hatte sie im Einzel sieben Matchbälle – und das Spiel ging trotzdem verloren. „Wenn man zu zweit ist, fühlt man sich geborgener, und man fühlt sich für den anderen verantwortlich.“

Während Ursula Bihl erzählt, kämmt die Plieningerin immer wieder mit den Fingern die Fransen ihres Tischteppichs. Es sieht aus, als wolle sie auf diese Weise Ordnung in die Geschichten bringen. Dabei funktioniert ihr Gedächtnis prima, wenn es um Anekdoten von früher geht. „Aber mein Kurzzeitgedächtnis“, sagt sie und winkt ab, „mir fehlen manchmal die Worte“. Das klingt, als hätte Ursula Bihl ihr Alter vergessen. Ihr Körper erinnert sie aber daran. „Mir tut ja alles Mögliche weh“, sagt sie. „Ich habe einen ganzen Schuhkarton voller Medikamente.“ Die Knie, die Hand, „die Ärzte sagen, ich hätte einen Hüftschaden, und mein Rückgrat sieht aus wie ein Fragezeichen. Aber wer will sich mit 90 noch operieren lassen?“

„Ohne Tischtennis könnte ich gar nicht sein“

Sie will mit 90 anderes: Tischtennis spielen. „Zu sagen, Tischtennis ist mein Leben, ist vielleicht ein bisschen übertrieben“, sagt Ursula Bihl. „Aber ich könnte ohne gar nicht sein. Da würde ich nur viereckige Augen kriegen vom Fernseher.“ Also fährt sie zweimal die Woche zur Rosensteinschule, wo ihr Verein, der TTC Stuttgart, trainiert. „Ich bin ja Jugendleiterin“, sagt sie. Erst zeigt sie anderen, was eine gute Vorhand ist, danach spielt sie selbst.

Dass sie Tischtennis-Sportlerin geworden ist, „das war Zufall“. Im Jahr 1946 hat das angefangen. Nach den Kriegswirren waren die Vereine ausgestorben, und da kam die Einladung für Stuttgarter, an einem Tag ungezwungen Tischtennis zu spielen. Von da an war Ursula Bihl dabei. Daheim hat sie auf dem Bügeltisch geübt. Und um an Tischtennis-Schläger zu kommen, blieb nur: „Biete Damenbluse, Größe sowieso, suche Tischtennis-Schläger“, referiert sie die Annonce. „Damals war ja alles ein einziges Tauschgeschäft.“

Die Zeiten sind vorbei. Heute stellt sich bloß die Frage, ob Ursula Bihl tatsächlich zu Turnieren fliegen soll, die am anderen Ende der Welt ausgetragen werden. Jedenfalls stellt sie sich für ihre Kinder, denn die amtierende Weltmeisterin kennt die Antwort. Seit der ersten Senioren-WM in Göteborg 1982 hat sie nur eine ausgelassen.

Erst vor zwei Jahren war Ursula Bihl in Hohhot, der Hauptstadt des autonomen Gebiets der Inneren Mongolei, und hat den WM-Titel geholt. Und in zwei Jahren soll es ins kalifornische Oakland gehen. „Da lachen immer alle, wenn ich sage: Da will ich hin.“ An ihrem 90. Geburtstag hat ihr Sohn in einer Rede verkündet, dass er sie begleiten wird. „Das haben alle gehört, da kann er also keinen Rückzieher mehr machen.“