Eine freiwillige Betreuerin der Esslinger Lebenshilfe fühlt sich nach einem Dienstunfall allein gelassen.

Plieningen - Es ist ein Tag, den Jutta Schüle nicht vergessen wird. Am 14. Juli 2011 ist sie mit dem Kind, das sie für die Esslinger Lebenshilfe betreut, in Plieningen unterwegs. Der Junge hat das Down-Syndrom, Jutta Schüle kennt ihn schon eine Weile. Sie weiß, dass sie die Augen offen halten muss. Als Jutta Schüle mit dem Jungen eine Straße überquert, springt das Kind übermütig vorneweg. Schüle sieht das Unheil kommen, das Kind ist im Begriff zu stolpern. Also greift sie nach dem Jungen. Doch dabei verliert sie selbst das Gleichgewicht und stürzt mit dem Gesicht auf den Asphalt.

 

Dieser eine falsche Schritt hat Jutta Schüle große Schmerzen bereitet und viel Geld gekostet. Die Ärzte stellten eine Zerrung der Halswirbelsäule, Prellungen an Kopf und Hand sowie einen Schaden am Gebiss fest. Die Behandlung ihrer Verletzungen habe sie in den vergangenen zwei Jahren einen vierstelligen Geldbetrag gekostet, sagt sie. Eigentlich wäre das kein Problem gewesen. „Wenn ich im Haushalt verunglückt wäre“, sagt sie. Dann hätte Schüles Krankenkasse und ihre private Unfallversicherung gezahlt, sagt sie. Doch die verwiesen auf den Umstand, dass ihr Unfall während der Arbeit passiert sei, auch wenn diese freiwillig abgeleistet worden ist. Die Sozialeinrichtung, für die sie ehrenamtlich tätig war, sei zuständig, hieß es.

Jutta Schüle war das zunächst egal. „Ich wusste ja, dass Ehrenamtliche über ihren Träger unfall- und haftpflichtversichert sind. Deshalb habe ich mir keine Sorgen gemacht“, sagt sie. Dann ist aber etwas geschehen, was das Vertrauensverhältnis zwischen der Ehrenamtlichen Jutta Schüle und der Lebenshilfe, für die sie tätig war, auf Dauer zerstört hat.

Eine Geschichte mit zwei Seiten

Es ist eine Geschichte, von der es zwei Versionen gibt. Schüle fühlt sich von einer Einrichtung allein gelassen, für die sie Arbeit geleistet hat, ohne eine finanzielle Gegenleistung zu erwarten. Sie sieht das Minimum nicht erfüllt, das sie sich erhofft hat: Dass ihr aus ihrer Tätigkeit zumindest kein finanzieller Schaden entsteht.

Die Esslinger Lebenshilfe hält ihre Pflicht dagegen für erfüllt. Sie habe den Schaden an den Versicherungsträger gemeldet. „Alles Weitere ist Sache der BG“, schreibt Anke Baumeister, die Geschäftsführerin der Esslinger Lebenshilfe. Mit „BG“ meint sie die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Der Versicherungsträger weist in einer gleichfalls schriftlichen Stellungnahme darauf hin, dass er sehr wohl die Kosten für die Unfallfolgen Jutta Schüles übernommen hat.

Allerdings gibt es zwischen Jutta Schüle und der BGW offenbar eine unterschiedliche Wahrnehmung davon, was die Folgen des Unfalls im Juli 2011 sind. Jutta Schüle leidet nach eigenen Angaben nach dem Unfall unter starken Schmerzen in der Wirbelsäulengegend. Deshalb sei sie immer noch in ärztlicher Behandlung. Die BGW verweigert die Übernahme der Kosten mit dem Hinweis auf eine Vorschädigung der Wirbelsäule. Jutta Schüle hatte in der Vergangenheit einen Bandscheibenvorfall. Die BGW erklärt Schüles Schmerzen mit einer Verschlimmerung des früheren Rückenleidens. „Die weitergehenden Wirbelsäulenbeschwerden von Frau Schüle resultieren nicht aus dem Unfall“, heißt es in einer Stellungnahme der Versicherung.

„Ich habe mit rechtlichen Schritten drohen müssen“

Auseinandersetzungen gab es seit 2011 auch um die Behandlung von Juttas Schüles Gebiss. Die BGW übernimmt einen gewissen Betrag, der aber nur ein Teil dessen ist, was bei Jutta Schüle seit 2011 an Zahnarztkosten anfiel.

Laut Jutta Schüle beschränkte sich ihr Streit mit der BGW und der Lebenshilfe nicht nur auf medizinische Kosten. „Ich habe mit rechtlichen Schritten drohen müssen, bis ich für meine kaputte Brille und meine zerrissene Jeans Schadenersatz bekommen habe“. Schüle sagt, dass sie immer wieder Briefe schreiben, telefonieren und letztlich eben mit dem Anwalt drohen musste, bis endlich Geld floss. „Mich hat es menschlich betroffen gemacht, dass die Lebenshilfe sich nie von sich aus um mich gekümmert hat“, sagt sie.

Die Plieningerin engagiert sich nach wie vor ehrenamtlich, etwa fürs Café Fröschle. Für eine große Organisation würde sie aber nicht mehr arbeiten. „Ich muss die Leute kennen und ihnen vertrauen, dass sie mich im Notfall nicht hängen lassen .“