Damit Inklusion funktioniert muss sich jeder anstrengen, meinen die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in der Zehntscheuer.

Plieningen - Übersetzt heißt er so viel wie Einbeziehung, tatsächlich meint der seit einiger Zeit in Mode geratene Begriff der Inklusion die uneingeschränkte Beteiligung von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben. Erfordert dies eine Anstrengung aller? Die Organisatoren einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend in der Plieninger Zehntscheuer beantworten diese Frage mit einem klaren Ja. Doch zwei Erkenntnisse blieben: Der Prozess braucht Zeit und darf nicht nur von einer Seite ausgehen. Die zur Inklusion Vorgesehenen müssen inkludiert werden wollen.

 

Es ist nicht lange her, da war der Begriff Inklusion nur sozialpädagogischen Fachleuten bekannt. Von Integration war stets die Rede, wenn es um die Partizipation behinderter Menschen ging. Integration jedoch stehe dafür, Behinderte zwar in den gesamtgesellschaftlichen Kreis aufzunehmen, sie aber dennoch als Gruppe unter sich zu lassen, machte Sylvia Schweizer vom Gemeindepsychiatrischen Zentrum Birkach der Evangelischen Gesellschaft (Eva) klar. Für eine gleichwertige Einbeziehung sei mehr nötig als eine Integration.

Ursula Marx bereitet dieser begriffliche Paradigmenwechsel Magengrimmen, weil er zu Missverständnissen verleite. Doch die frühere Stadträtin ist ohnehin eher eine Frau der Taten denn der Worte. Seit November ist Marx Behindertenbeauftragte der Stadt. Gewohnt forsch saß die gebürtige Hanseatin vor 80 Zuhörern in der gut besuchten Zehntscheuer auf dem Podium und betonte, wie wichtig aus ihrer Erfahrung die individuelle Wunsch- und Wahlfreiheit sei. „Das Wohl des einen muss nicht immer das Wohl des anderen sein“, sagte sie. Zur Diskussion stand zu dem Zeitpunkt die Frage, welche Anreize die Politik setzen könne, um Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Dieser sei aber schlichtweg nicht inklusiv, bedauerte Albert J. Ebinger, der Geschäftsführer des Behindertenzentrums (BHZ) Stuttgart, gerade nicht in einer Welt, in der die Optimierung von Produktions- und Arbeitsprozessen an oberster Stelle stehe.

„Man muss erst krabbeln lernen, bevor man laufen kann“

Wie gut Inklusion im Kleinen funktionieren kann, beweist ein Projekt von Eva und BHZ in Plieningen und Birkach. Unterstützt von der Aktion Mensch, dem Bezirksvorsteher Edgar Hemmerich und dem TV Plieningen macht sich eine Gruppe Engagierter Gedanken darüber, wie Menschen mit Behinderung aus ihrer Isolation geholt und Hindernisse abgebaut werden können. Konkrete Maßnahmen in den vergangenen zwölf Monaten waren etwa die Befragung Betroffener, was sie in ihrer Freizeit gerne tun würden, die Vermittlung von Paten und die Organisation gemeinsamer Aktionen. An jedem zweiten Sonntag im Quartal, das nächste Mal am 14. April, geht eine gemischte Gruppe um die Demografielotsin Jutta Schüle ins Cannstatter Tanzcafé Melodie. Allgemeines Ziel: ein gutes Stadtbezirksklima durch regelmäßige Kontakte herstellen. Es brauche Kräfte wie Schüle und den Vorsitzenden des TV Plieningen, Folker Baur, um Barrieren im Kopf abzubauen, findet Sylvia Schweizer – und einen langen Atem. „Wir haben ein Samenkorn gesät. Jetzt sehen wir ein zartes Pflänzchen, aus dem ein Baum werden soll, der Früchte trägt.“ Baur, der seine Übungsleiter gerne in Inklusionsschulungen schicken würde, sieht das genauso. „Man muss erst krabbeln lernen, bevor man laufen oder springen kann“, sagt er. „Aber durch die Begegnungen sehen wir, wie Menschen langsam aufblühen.“