Ein spezielles Fahrrad lässt Senioren mit Handicap weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Doch noch ist die Hemmschwelle der Benutzer recht groß. Das will ein Mediziner nun ändern.

Plochingen - Es wird sich durchsetzen. Davon ist Hartmut Wiegmann überzeugt. Der ehemalige Arzt und begeisterte Fahrradfahrer wirbt bereits seit vergangenem Jahr bei jeder Gelegenheit für die Nutzung eines ausleihbaren Tandemfahrrads, mit welchem Menschen mit gesundheitlichen Problemen wieder Radfahren können. Im Behindertensport gebe es diese Fahrräder bereits seit vielen Jahren, erklärt Wiegmann. Dass Senioren das Gerät nutzen, sei dagegen neu. „Aber das kommt jetzt“, ist sich der 67-Jährige sicher.

 

Er könnte Recht behalten. Denn die Zahl der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, steigt. Laut dem Statistischem Bundesamt wird diese Bevölkerungsgruppe in den kommenden zwanzig Jahren, wenn die Geburtenstarken Jahrgänge nach und nach dieses Alter erreichen, stark anwachsen. Das bedeutet, dass sich zumindest der potenzielle Nutzerkreis des Tandemfahrrades in den kommenden Jahren weiter vergrößern wird.

Das Angebot werde zwar bereits gerne angenommen, bisher muss Wiegmann aber auf die Menschen zugehen und sie für einen Ausflug mit dem Tandemfahrrad gewinnen. Speziell im Plochinger Johanniterstift findet er häufig Mitfahrer. „Es gibt Leute, die fahren immer mit, wenn man fragt“, freut er sich.

Rund 9000 Euro kostet das Gefährt

Das Fahrrad kann jedoch auch von Freunden oder Angehörigen von gehandicapten Senioren ausgeliehen werden. Es gebe aber derzeit wohl noch eine Hemmschwelle das Rad zu nutzen, meint der Mediziner Wiegmann. Nachfragen von Freunden oder Angehörigen seien selten. Dabei täte die Bewegung im Freien grundsätzlich jedem gut - egal ob mit oder ohne Demenz, ob mit oder ohne körperliche Gebrechen. Privat wird sich das Fahrrad derzeit kaum jemand kaufen. Mit einem Preis von rund 9000 Euro ist es einfach zu teuer.

Einer, der regelmäßig gerne mit dem Tandemfahrrad unterwegs ist, ist der Plochinger Allgemeinmediziner in Rente Peter Heister. Er und Wiegmann sind seit vielen Jahren befreundet. Früher seien sie oft zusammen geradelt, erinnert er sich. Doch eine Krankheit hat es ihm irgendwann unmöglich gemacht, weiter selbst auf sein Fahrrad zu steigen. Wenn seine Freunde radfahren gegangen sind, blieb Peter Heister zuhause und stieg auf seinen Hometrainer. „Es gibt nichts Langweiligeres“, sagt er über das Sportgerät für zuhause. Mit dem Tandemfahrrad nimmt er nun wieder regelmäßig an Radtouren im Freien mit Freunden teil - so wie kürzlich beim Volksradfahren in Altbach. „Das geht wunderbar. Das tut mir richtig gut.“ Neben dem physischen Aspekt hat das Tandemfahrrad auch einen sozialen Nutzen.

Sinnesreize werden angeregt

Ursprünglich wurde das Spezialfahrrad vom Verein für Altenhilfe Plochingen Altbach Deizisau im Rahmen einer Demenzkampagne beschafft. Zwischen Oktober 2013 und April 2014 wurde während öffentlicher Veranstaltungen unter anderem dafür geworben, Menschen mit Demenz nicht von einem Leben mit Bewegung in der freien Natur auszuschließen. Das Rad ist aber nicht ausschließlich für Menschen mit Demenz geeignet.

Sorgen vor einer Überforderung muss niemand haben. Der Sozius kann sich anschnallen. Er muss nicht lenken und kann mit in die Pedale treten, muss das aber nicht. Außerdem besitzt das Rad einen elektrischen Hilfsmotor, der bei Bedarf eingeschaltet werden kann. Das Radfahren rege die Muskulatur an, was besonders für Menschen mit wenig Bewegung gut sei, meint Wiegmann. Bei demenzkranken Radlern würden ferner Sinnesreize angeregt. „Manche erinnern sich beispielsweise beim Fahren in der näheren Umgebung an ihren alten Schulweg“, berichtet er. Fähigkeiten, die noch vorhanden seien, würden dadurch länger erhalten bleiben. Eine Altersgrenze gibt es nicht. Die älteste Radlerin sei 95 Jahre alt gewesen.