Teamwork, neue Präsentationsformen, Werke in ungewohnten Kombinationen: In Esslingen wird jetzt zum achten Mal das Klassik-Festival neu definiert.

Esslingen - Blümlein blau, verdorre nicht!“, singt ein junger Bariton (Bryan Benner) in der Esslinger Südkirche. Die gebrochene Romantik in Gustav Mahlers Liedern, mag man gedacht haben, sei nichts für Zuhörer unter vierzig. Doch von wegen: Das Eröffnungskonzert des diesjährigen Podium-Festivals endete mit langem, lautem Jubel, und das lag gewiss nicht nur an den Liedern des 1970 geborenen irischen Komponisten Donnacha Dennehy, die hier ebenfalls erklangen.

 

Die hörbar von (post-)minimalistischen Wiederholungen und Phrasenverschiebungen geprägte Musik Dennehys mit Mahlers vier „Liedern eines Fahrenden Gesellen“ zu kombinieren, ist eine der Ideen, auf die man in Esslingen kommt. Reibung, Befremden, explosive Mischungen: Das wünscht man sich hier. Einen Versuch ist’s wert. Just do it – mach’s doch einfach: Müsste man das junge Festival beschreiben, das 2016 in sein achtes Jahr geht, dann träfen diese wenigen Worte ins Schwarze.

Mehlschwitzsoßige Gefühlsverstärkung

Ein Reiz des Eröffnungskonzertes bestand in der Verwunderung darüber, dass die Musik des älteren Komponisten mit ihrer einkomponierten elementaren Verunsicherung und ihrer Gebrochenheit, die durch die kontrastierenden Farb-Konturen des klein besetzten Ensembles zusätzlich befördert wurde, deutlich moderner, zeitgenössischer wirkte als jene des gut ein Jahrhundert Jüngeren. Dessen Lieder wurden von der Sopranistin Estelle Béréau sehr klar und mit weiten Bögen gesungen, und Posaune, Schlagzeug, Akkordeon und (E-)Gitarre sorgten bei der Begleitung für reizvolle Farb-Akzente. Diese diente allerdings im Gegensatz zu den Mahler-Liedern zuallererst einer Gefühlsverstärkung, die zuweilen etwas Mehlschwitzsoßiges hat.. Wo Mahler fragt, ergeht sich Dennehy in schönen, oft gar pathetischen Wiederholungen; wo Mahler hungrig ist, wirkt Dennehy wohlig-satt. Dieser Eindruck wurde auch nicht dadurch relativiert, dass die Musiker das abschließende „Um Mitternacht“ aus Mahlers Rückert-Liedern zum wirkungsvolles Gefühls-Schmankerl formten

Wer anschließend noch das Nachtkonzert in der Villa Merkel besuchte, konnte dort einen Dinosaurier der Minimal Music erleben: Das 1964 uraufgeführte Ensemblestück „In C“ des US-Amerikaners Terry Riley zieht ein jüngeres Publikum nicht nur wegen seiner bewusst unakademischen Wirkung an, sondern auch wegen seiner Verwandtschaft zu zeitgenössischen Musikströmungen wie Techno oder House. So wandelte man mit den Musikern, die sich ebenfalls durch die Räume bewegten, knapp 90 Minuten lang umher, legte einen individuellen Zoom auf einzelne Instrumente und Aktionen, nahm Teile des Ganzen wahr, die sich mit Klängen aus dem Atrium und aus anderen Räumen verbanden.

Neue Konzertformen

So wird das mittlerweile international beachtete Festival bis zum 23. April weitergehen: mit neuen Konzertformen, ungewohnten Werk-Kombinationen, viel neuerer Musik, Neugier als erstem Antrieb; mit Experimenten, die als Teamwork junger Musiker entstehen, ohne Stars und mit dem Versuch, möglichst viel von dem bürgerlichen Ballast abzuwerfen, den klassische Konzerte sonst oft als schweren Rucksack auf dem Rücken tragen. Manchmal hält die künstlerische Qualität nicht Schritt mit der kreativen Energie, welche das Team rund um den Festivalchef Steven Walter auszeichnet. Aber das meiste beim Podium-Festival macht Lust auf mehr: als Klassik von unten, Klassik zum Anfassen.