Der Trend zur Digitalisierung verschärft den Fachkräftemangel. Die Experten bei der Podiumsdiskussion in der L-Bank in Stuttgart sind sich einig, dass mehr in die Bildung investiert werden muss.

Stuttgart - Der Trend zur Digitalisierung verschärft den Fachkräftemangel. Selbst der Stuttgarter Bosch-Konzern, der zu den beliebtesten Arbeitgebern in Deutschland zählt, kann seinen Personalbedarf zurzeit nicht vollständig decken. Bosch habe viele offene Stellen mit dem Schwerpunkt in den Bereichen Software/IT, sagt Personal-Geschäftsführer Christoph Kübel in Stuttgart. Jede zweite offene Stelle bei Bosch hat einen Bezug zu Computer und Internet. Kein Wunder, denn immer mehr Produkte werden so gebaut, dass sie internetfähig sind. Gefragt sind bei Bosch deshalb zum Beispiel Maschinenbau-Ingenieure mit IT-Kompetenz. Bei der Podiumsdiskussion von Stuttgarter Zeitung, L-Bank und der Beratungsgesellschaft Roland Berger zum Thema „Zwischen Digitalisierung und Fachkräftemangel – Wie arbeiten wir in Zukunft?“ macht Kübel die Dimension der Herausforderung klar: In vielen Werken in Deutschland geht bis 2030 etwa die Hälfte der Belegschaft in den Ruhestand und muss ersetzt werden.

 

Michael Brecht, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats von Daimler, sieht seinen Konzern vor ähnlichen Problemen. „Der Markt wird richtig eng“, sagt er. Wenn schon Arbeitgeber wie Bosch und Daimler Schwierigkeiten haben, ist dann der Fachkräftemangel für die kleineren Unternehmen womöglich bereits jetzt eine Wachstumsbremse? Das will Moderator Joachim Dorfs, Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, von der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut wissen. „Ja“, lautet die klare Antwort der Politikerin, die auf aktuell 100 000 offene Stellen im Land verweist.

„Wir tun viel, aber wir müssen noch mehr tun“

Um gegenzusteuern, hat bereits die grün-rote Landesregierung Ende 2011 eine Fachkräfteallianz von Land, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Arbeitsagentur initiiert. Hoffmeister-Kraut erhofft sich weitere Impulse durch die Einführung des Fachs Informatik in diesem Schuljahr als Aufbaukurs in Klassenstufe 7 der allgemeinbildenden Gymnasien und durch das Bündnis „Frauen in Mint-Berufen“, mit dem Mädchen für eine Erwerbstätigkeit im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (Mint) gewonnen werden sollen. „Wir tun viel“, sagt die Ministerin, „aber wir müssen noch mehr tun.“ Das sieht auch der Berater Stefan Schaible so, der Deutschlandchef von Roland Berger ist.

Über die Frauenförderung hinaus ist es aus Schaibles Sicht erforderlich, das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften durch die Förderung von jungen Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen sowie durch ein Zuwanderungsgesetz zu verbessern. Da gibt es auf dem Podium keinen Widerspruch. Auch Kübel vermisst eine stärkere Durchlässigkeit des Bildungssystems und fordert insgesamt höhere Investitionen in die Bildung. Und Hoffmeister-Kraut unterstützt unabhängig von der bestehenden Blue-Card-Regelung für Hochqualifizierte die Einführung eines Zuwanderungsgesetzes. Brecht freilich richtet den Blick auf einen anderen Aspekt: „Die Leute haben Angst vor Veränderung“, sagt der Betriebsratschef, weil sie mit der Digitalisierung zunächst einmal negative Erfahrungen gemacht hätten: in Form der Verlagerung von kaufmännischen Arbeiten in sogenannte Shared Service Center ins Ausland.

Brecht vermisst da Unterstützung für die Beschäftigten, die ihnen die Angst nimmt. Das mag Kübel nicht uneingeschränkt unterschreiben. „Bei den höher Qualifizierten ist das kein Problem“, sagt der Bosch-Geschäftsführer, „aber bei den An- und Ungelernten sieht das anders aus. Es sei schwer, diese Beschäftigten zur Teilnahme an Programmen zur Weiterbildung zu bewegen. Kübel: „Dabei sind das die Leute, deren Jobs wegzufallen drohen.“

Kommt es zu einer Renaissance der einfachen Arbeit?

Die Spaltung des Arbeitsmarkts, nach der Moderator Dorfs fragt, besteht nach Einschätzung von Stefan Schaible bereits jetzt. Die weitere Entwicklung ist nach seiner Ansicht aber nicht klar. „Vielleicht gibt es ja eine Renaissance der einfachen Arbeit“, denkt er laut nach. „Denn in der Pflege zum Beispiel scheint der Roboter als Unterstützung ja nicht die Lösung zu sein.“ Wie die Bezahlung geregelt werden kann, sei aber offen, räumt Schaible ein. So sind es aus der Sicht des Beraters nicht die ganz einfachen, gewerblichen Tätigkeiten, die am stärksten bedroht sind, sondern eher Sachbearbeiterjobs bei zum Beispiel Banken und Versicherungen.

Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut hat gerade mit einem jungen Mann gesprochen, der als Programmierer tätig ist und sich fragt, ob er in zehn Jahren noch Arbeit haben wird. Aber die Ministerin betrachtet die Digitalisierung als „eine Riesenchance“, sie ist sicher: „Wir werden auch in Zukunft Arbeit für alle haben.“