Nikita Gorbunov und Matthias Gronemeyer führen Schüler in die Kunst des Poetry Slams ein.
Renningen - Dann steht sie auf der Bühne, alleine mit dem Mikrofon. Das Licht im Saal ist gedimmt, nur sie steht im gleißenden Lichtkegel. Luftholen. Die Hände zittern, aber die Stimme ist gefasst. Im Prinzip ist es doch nur Ablesen. Die letzten Worte. Das Publikum applaudiert. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Einen ungewöhnlichen Unterrichtstag erlebten die Achtklässler der Renninger Realschule diese Woche. Denn unterrichtet wurden sie nicht von ihren Lehrern, sondern von den beiden Poetry-Slam-Künstlern Nikita Gorbunov und Matthias Gronemeyer. Der Poetry Slam ist seit einigen Jahren eine angesagte Form des kreativen Schreibens und Vortragens. Meistens sind es Geschichten oder Gedichte, die persönliche Botschaften transportieren. Diese Ausdrucksform sollten die Renninger Achtklässler nun auch kennen lernen.
Schüler lernen, Gefühle auszudrücken
„Ich glaube, es ist ein guter Zeitpunkt. Mit 14 tut sich einiges an Körper und Geist der Jugendlichen, und viele tun sich schwer, darüber zu reden. Ich finde es wichtig, dass sie in dieser Zeit lernen, ihre Gefühle auszudrücken“, sagt der Lehrer Hermann Trinkle, der den Tag organisierte. So war das klare Ziel für die Schüler, bis zum Mittag einen eigenen, persönlichen Slam geschrieben zu haben.
Aufgeteilt in zwei Gruppen führten Nikita und Matthias die Schüler morgens mit eigenen Stücken in die Poetry-Slam-Szene ein. Die beiden sind schon seit mehr als zehn Jahren in dieser aktiv. Dann ging es an die ersten Übungen. Die Schüler sollten einen Text über den Sommer oder aus der Sicht einer berühmten Persönlichkeit schreiben, jedoch ohne einige charakteristische Worte zu benutzen. Das gab einen ersten Eindruck vom kreativen Schreiben. Doch ein Slam will nicht nur geschrieben, sondern auch vorgetragen werden. Und das stellte sich als gar nicht so einfach heraus.
Die einen sind schüchtern, die anderen laut
Während einige mit ihrer Schüchternheit zu kämpfen hatten, gingen es andere weitaus lauter und chaotischer an. Schon nach kurzer Zeit bestimmten lautes Gelächter und Albernheiten die Vorträge. „Poetry Slam hat ein gewisses Herz für Klassenclowns“, erklärt Nikita das Chaos. „Die lauten Schüler werden im Schulalltag immer gebremst und häufig auch angeschissen. Hier bekommen sie ihren Raum zugestanden.“ Er glaubt, dass es gerade diesen Schülern gut tut, wenn sie ein Erfolgserlebnis gerade aufgrund ihrer Art bekommen. „Die leiseren Schüler vertiefen sich dafür häufig um so mehr in den Schreibprozess. Ihnen müssen wir dann klarmachen, was für wunderbare Dinge sie da zu Papier gebracht haben“, sagt Nikita weiter. So soll jeder auf seine Weise von der Erfahrung profitieren und sein Selbstbewusstsein stärken. Wichtig ist Nikita und Matthias dabei, das jeder Vortrag freiwillig ist. „Es war auffällig, das sich heute anfangs wenige Mädchen getraut haben, das ist normalerweise andersrum in diesem Alter. Aber gezwungen wird trotzdem niemand“, versichert Matthias.
Nach einer weiteren Arbeitsphase hat dann jeder Achtklässler einen eigenen Poetry Slam geschrieben – nach nur einem halben Tag Vorbereitung. Beim Brainstormen zu möglichen Themen offenbarten die Schüler nach dem vorherigen Chaos doch noch ihr kreatives Potenzial. Und so standen am Ende zehn Schüler auf der Bühne der Aula und trugen ihre ersten eigenen Poetry Slams vor, darunter ernste Themen wie Depressionen und Vernachlässigung, aber auch komödiantisches direkt aus dem Schulalltag. Nikita und Matthias hoffen, den einen oder anderen bald wieder auf einer Bühne zu sehen. Es wäre nicht das erste Mal nach ihren Workshops.