Sir John Franklin wollte im 19. Jahrhundert die Nordwest-Passage vom Atlantik in den Pazifik finden. Er blieb im Norden Kanadas im Eis stecken, die Crew kam um. Heute suchen kanadische Forscher nach seinen beiden Schiffen. Sie müssten noch intakt sein.

Ottawa - In den Gewässern der Nordwest-Passage wollen kanadische Techniker und Wissenschaftler eines der großen Rätsel der Arktiserkundung lösen: Wo liegen die verschollenen Schiffe der Expedition des Briten Sir John Franklin aus dem Jahr 1845? Nach vier vergeblichen Expeditionen gehen die Unterwasserarchäologen wieder mit viel Optimismus ans Werk. Bis zu sechs Wochen lang wollen sie nach den Wracks suchen. Die Expedition ist die bisher umfassendste.

 

Vermutet werden die Schiffe Erebus und Terror im Queen Maud-Golf, der von der King William- und der Victoria-Insel, der Adelaide-Halbinsel und dem Festland umgeben ist, oder in angrenzenden Abschnitten der legendären Nordwest-Passage im kanadischen Arktisterritorium Nunavut. 800 Quadratkilometer Meeresboden wurden 2008, 2010, 2011 und 2012 bereits akribisch abgesucht. Nun kommen mehrere Hundert Quadratkilometer hinzu. Die aus Nunavut stammende Umweltministerin Leona Aglukkaq hofft, „dass dieses Projekt nicht nur unsere Kenntnisse über die frühe Arktiserforschung und ihren Einfluss auf die Entwicklung Kanadas als Nation erweitern wird“, sondern auch die Schönheit und einzigartige Kultur der Arktis verdeutlicht.

Mit der Erebus und der Terror und knapp 130 Mann Besatzung hatte der britische Seefahrer Franklin Mitte Mai 1845 England verlassen, um die Nordwest-Passage durch die kanadische Inselwelt zu finden, die den Seeweg zwischen Europa und Asien deutlich verkürzen würde. Aber die Schiffe blieben im Eis stecken. Dreimal musste die Besatzung im arktischen Eis überwintern. Eine später auf der King William-Insel gefundene Botschaft, die unter einem Steinhaufen zurückgelassen wurde, besagt, dass Franklin am 11. Juni 1847 starb, und vor ihm 23 Besatzungsmitglieder. Die Überlebenden machten sich 1848 zu Fuß auf den Weg Richtung Süden. Sie wollten einen Außenposten der Handelsgesellschaft Hudson Bay Company erreichen. Aber sie kamen dort nie an.

Die Wracks wurden zu „nationalen historischen Orten“ erklärt

Auch die Schiffe sind verschollen. Die Wissenschaftler um Ryan Harris, dem leitenden Unterwasserarchäologen der kanadischen Nationalpark-Behörde Parks Canada, haben in den vergangenen Jahren das Gebiet eingrenzen können, in dem sie die Schiffe vermuten. Gearbeitet wird mit Echolot und unbemannten Tauchbooten: einem Autonomen Unterwasser-Vehikel (AUV), das losgelöst vom Suchschiff operiert, und einem über Kabel ferngesteuerten ROV (Remotely Operated Vehicle). Harris und seine Kollegen stützen sich auch auf die Erzählungen der Inuit, der Ureinwohner der Arktis. Bewohner der Gemeinde Gjoa Haven erinnern sich an Geschichten, die ihre Großeltern von den Großeltern gehört hatten und in denen es um Schiffe ging, die im Eis verschwanden.

Die Erebus und Terror gehören zu den großen kanadischen Mythen, obwohl Kanada als eigenständiger Staat damals noch nicht bestand. Die unentdeckten Wracks wurden 1992 zu „nationalen historischen Orten“ erklärt. Dass Kanadas konservative Regierung in den vergangenen Jahren die Suche vorangetrieben hat, liegt aber nicht nur an ihrem Interesse an der Geschichte. Klimawandel und Eisschmelze haben das Zeitfenster für die Suche vergrößert. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Nordwest-Passage selbst im Sommer schwer zu passieren, jetzt ist sie mehrere Wochen weitgehend eisfrei. Die Suche hat zudem politische Hintergründe: Kanada will seinen Souveränitätsanspruch auf die arktischen Gewässer unterstreichen. Dabei geht es vor allem um die Nordwest-Passage: Kanada sieht sie als internes Gewässer; andere, darunter die USA und die EU, betrachten sie als internationale Meeresstraße.

Zwar hatten die bisher vier Expeditionen nicht den großen Erfolg, sie lieferten aber wichtige Hinweise. Im vergangenen Jahr wurden menschliche Überreste und Gebrauchsgegenstände wie eine Zahnbürste gefunden, die der Franklin-Expedition zugeordnet werden, und 2010 wurde die Investigator entdeckt, das Schiff des Briten Robert McLure, der 1850 in die Nordwest-Passage eingefahren war, um Franklin zu finden. Auch McLures Schiff blieb im Eis stecken, mehrere Seeleute kamen ums Leben. Der Großteil der Besatzung aber konnte sich auf ein anderes Schiff retten.

Der überraschend gute Zustand der Investigator, deren Zersetzungsprozess durch das eisige Wasser verzögert wurde, nährt die Hoffnung, auch die Franklin-Schiffe einigermaßen intakt zu finden. Selbst wenn die Expedition wieder keinen Erfolg bringen sollte, ist sie doch von Nutzen: Die Nordwest-Passage wird kartografiert. Da durch den Rückgang des Meereises der Schiffsverkehr in der Arktis vor allem durch Kreuzfahrtschiffe zunimmt, hilft dies, Schiffsunglücke mit möglicherweise katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt zu vermeiden.