In Polen steht die Rechtsstaatlichkeit auf dem Spiel. Es gibt viele gute Gründe für ein Verfahren der EU gegen Warschau. Gleichwohl wäre es falsch, kommentiert Politik-Redakteur Christian Gottschalk. Das Vorgehen bedarf eines größeren Rahmens.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Brüssel - In Brüssel hat Artikel 7 des EU-Vertrages einen martialischen Namen. „Die Atombombe“ wird die Norm dort genannt. Es ist die schärfste Waffe der Europäischen Union, die Ultima Ratio gegenüber Mitgliedsländern, die Grundwerte der EU verletzen. Weil die Waffe so gewaltig ist, ist sie bisher noch nie zur Anwendung gekommen. Das soll sich nun ändern. Seit zwei Jahren gärt der Konflikt mit Polen, dort beschlossene Justizgesetze nagen an der Rechtsstaatlichkeit des Landes, stellen die Demokratie infrage. Die EU hat versucht, mit milderen Mitteln auf Warschau einzuwirken, vergebens. So gesehen ist es an der Zeit, das scharfe Schwert zu zücken.

 

Waffe ohne Schlagkraft

Jedoch: Der gewünschte Erfolg wird sich nicht einstellen. Ungarn wird sich bei der notwendigen Einstimmigkeit verweigern, kündigte deren Regierungschef Victor Orbán an. Die Frage muss daher lauten: Ist es sinnvoll, die mächtige Waffe aus dem Arsenal zu holen, wenn es klar ist, dass sie nicht zünden wird? Die Antwort lautet Nein. Am Ende würden nur die triumphieren, deren Fehlverhalten korrigiert werden soll. Dass ausgerechnet Ungarn, dessen Eintritt für europäische Werte ebenfalls fragwürdig ist, einen Erfolg verhindern kann, zwingt zu einer anderen Überlegung: Ist Artikel 7 auf Ungarn und Polen gleichzeitig anwendbar? Das erscheint möglich, bedarf aber noch intensiverer Prüfung.