Aus Sicht von Niedersachsens Innenminister Pistorius sind sie brandgefährlich: Derzeit kursieren viele Verschwörungstheorien über das Coronavirus. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor Scharlatanen und Panikmache.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Bonn - Verschwörungstheorien haben gerade Hochkonjunktur. Ob per Facebook, WhatsApp oder Youtube: In Krisenzeiten steigt die Bereitschaft der Menschen, an geheime Machenschaften böswilliger Verschwörergruppen zu glauben, sind sich die Sozialpsychologen Jan-Willem van Prooijen und Karen M. Douglas sicher. Angst, Unsicherheit und Kontrollverlust bilden einen unguten Cocktail.

 

Derzeit verbreiten sich Fake News über das Coronavirus mit ähnlicher Geschwindigkeit wie die biologischen Erreger. Die Weltgesundheitsbehörde WHO klagt über eine „massive Infodemie“ und warnt eindringlich vor Scharlatanen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte am Dienstag ein härteres Vorgehen der Politik. Die Fake News seien „brandgefährlich“, sagte er dem „Spiegel“. „Sie können Panik, Hamsterkäufe und Konflikte auslösen und sind daher auf das Schärfste zu verurteilen. Daher müssen wir mit Bußgeldern oder sogar Strafandrohungen abschrecken.“

Menschen wollen wissen, warum etwas passiert. Zufälle oder biologische Zusammenhänge reichen vielen als Erklärung nicht aus. „Wir wollen lieber glauben, dass jemand irgendwo die Strippen zieht“, beschreibt van Prooijen den Mechanismus.

Endkampf Licht und Finsternis

Gerade Soziale Netzwerke sind anfällig für Falschmeldungen und Panikmache, weil sie die Klickzahlen in die Höhe treiben. „Wer an die Viren-Lüge glaubt, der hat Biologie entweder nicht studiert oder nicht verstanden“, gibt etwa der selbst ernannte Bewusstseinsforscher Bruno Würtenberger zum besten. Um dann von einem Endkampf zwischen Licht und Finsternis zu berichten.

Über WhatsApp verbreitet sich auch der Kommentar eines vermeintlichen spanischen Schamanen, der dunkle Mächte beschuldigt, „die Schwingungsfrequenz der Menschheit“ senken zu wollen, um die Macht des Staates zu erhöhen und Chinas Einfluss zu beschneiden. Das Virus entstamme einen Labor, sei also eine Biowaffe im Dienst der Mächte der Finsternis, heißt es.

Oder ist Corona vielleicht nur ein perfider Plan internationaler Pharmafirmen? Auch Milliardär Bill Gates wird beschuldigt, für die Verbreitung verantwortlich zu sein, weil er wirtschaftlich von der Pandemie profitiere. Verbreitet wird auch die Behauptung, dass die Lebensmittelversorgung nicht mehr gesichert sei oder Menschen anfälliger für das Virus seien, wenn sie bestimmte Schmerzmittel eingenommen hätten. Auch 5G-Masten sollen für den Ausbruch des Coronavirus verantwortlich sein.

Selbstdiagnose durch Atemtechnik ist Unsinn

Es geht vielleicht noch abwegiger. So berichtet das Technik-Nachrichtenportal „heise online“ von einer WhatsApp-Sprachnachricht, wonach Ibuprofen-Tropfen den Krankheitsverlauf bei Infizierten verschlimmere. Die Nachricht beruft sich auf eine angebliche Studie der Universität Wien – die es laut dieser aber nie gegeben habe, wie die Uni auf Twitter klarstellte.

Weiter kursieren ähnliche Gerüchte, die besagen, man könne sich selbst mit japanischen Atemtechniken selbst auf Infektionen prüfen oder regelmäßiges Wassertrinken die Viren in den Magen spülten, wo sie abgetötet würden. Laut Gesundheitsexperten sind das Märchen. Anders als bei den Verschwörungstheorien mit klarem Absender lässt sich der Ursprung dieser Falschnachrichten kaum zurückverfolgen. Mehr Glauben schenken sollte man ihnen wohl trotzdem nicht.

Auch das Medienmagazin „Horizont“ berichtet über Desinformation im Kontext von Corona, die unter jüngeren Zielgruppen kursierten. So seien in den sozialen Netzwerken Instagram und Snapchat Augmented-Reality-Filter im Umlauf, die die angeblich Corona-Infektionen anhand eines Gesichtsscans erkennen können. Beide Portale haben mittlerweile Warnhinweise ausgegeben, die zweifelhaften Apps nicht zu nutzen. Auch die Suchfunktionen nach solchen Filtern wurden eingeschränkt.

Stigmatisierung von Minderheiten

Epidemien lösen Angst aus und bedrohen die gesellschaftliche Stabilität. Deshalb suchen Menschen oft nach einem Sündenbock - das sei auch schon früher so gewesen, erläuterte die Marburger Historikerin Andrea Wiegeshoff kürzlich im Deutschlandfunk. Im späten 19. Jahrhundert sei zum Beispiel die Pest noch einmal nach Europa zurückgekehrt. Das habe massive Angstreaktionen ausgelöst, weil diese Krankheit der „Schrecken des europäischen Mittelalters“ gewesen sei.

Die Suche nach einem Schuldigen bei Krankheitsausbrüchen habe „leider eine sehr lange Geschichte“, so Wiegeshoff. Die Epidemien hätten dabei häufig bereits bestehende gesellschaftliche Konflikte zugespitzt und soziale Spannungen verschärft.

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Zum Beispiel rassistische Vorstellungen: Im Fall des Coronavirus etwa seien chinesische oder asiatisch-aussehende Menschen in Europa immer wieder beschuldigt worden, ein „Erregerreservoir“ zu sein. Dieses Motiv reiche ebenfalls ins 19. Jahrhundert zurück. In den USA zum Beispiel seien damals chinesische Arbeiter für die Einschleppung von Seuchen verantwortlich gemacht worden - was sich aber mit der Sorge um Arbeitsplätze und Überfremdung verbunden habe.

Göttliche Strafe?

Im Mittelalter wurden Seuchen und Naturkatastrophen dagegen oft als göttliche Strafe gedeutet. Die Folge: Die Menschen versuchten, vermeintlich moralisch verwerfliche Personen auszusondern und im schlimmsten Fall zu töten. Juden und Hexen wurden für Verbrechen, Seuchen und Unheil aller Art verantwortlich gemacht. Die Judenpogrome im Mittelalter seien auch der Versuch gewesen, die „moralische Verschmutzung durch Andersgläubige“ beheben zu wollen, erläutert Wiegeshoff.

Sicherheitskreise kommen laut der Deutschen Presseagentur (dpa) zu der Einschätzung, dass die Fake-News-Auswüchse um das Coronavirus keinen Anlass zu größerer Sorge geben. Die Verbreitung des neuartigen Coronavirus in Europa hat bislang noch nicht zu einem nennenswerten Anstieg von Falschmeldungen mit politischem Hintergrund im Netz geführt. Gezielte große Kampagnen - etwa aus dem Ausland - seien demnach noch nicht registriert worden. Allerdings beobachteten auch Sicherheitsbehörden, dass sich um die Ausbreitung der Lungenkrankheit Covid-19 bereits zahlreiche Verschwörungstheorien rankten, die zum Teil auch in sozialen Netzwerken verbreitet würden.

Dieser Text wird fortlaufend aktualisiert.