Der von Union und SPD vereinbarte Koalitionsvertrag bringt einige Verbesserungen für Ein-Eltern-Familien, aber nicht genug, sagt Brigitte Rösiger vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in Baden-Württemberg.

Stuttgart - Wenn die neue große Koalition ihr Programm wie angekündigt umsetzt, können Eltern künftig von einer Teil- auf eine Vollzeitstelle zurückkehren. Das sei gut, sagt Brigitte Rösiger. Da die Regelung aber nur in Unternehmen mit mindestens 45 Beschäftigten vorgesehen sei, nütze sie lediglich einem Teil. Auch dass Grundschüler einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung bekommen sollen, hält die Sozialpädagogin für richtig – dass es erst 2025 so weit sein soll, sei aber zu spät. Erwerbstätigkeit sei notwendig, um zu verhindern, dass Alleinerziehende und ihre Kinder arm sind und bleiben. In Baden-Württemberg sind laut Statistischem Landesamt rund 286 000 Mütter und 53 000 Väter alleinerziehend, rund 70 Prozent von ihnen sind erwerbstätig.

 

Erst vor wenigen Wochen hat eine Studie den Anteil der armutsgefährdeten Familien nach oben korrigiert. Nach Berechnungen der Ruhr-Universität Bochum müssen sich 68 Prozent der Alleinerziehenden und 13 Prozent der Paare mit einem Kind deutlich einschränken. Bisher war in verschiedenen Untersuchungen – auch dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung – davon ausgegangen worden, dass 11 Prozent dieser Paare und 46 Prozent der Alleinerziehenden armutsgefährdet sind. Als arm gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt.

Mehr von Armut bedroht

Ein Grund für drohende Armut ist, dass Alleinerziehende wegen des höheren Betreuungs- und Fürsorgeaufwandes oft nur eingeschränkt berufstätig sein können. Bisher sei zu wenig berücksichtigt worden, dass in Familien mit geringem Einkommen ein zusätzliches Familienmitglied finanziell viel stärker ins Gewicht fällt als bei Familien mit höheren Einkommen, so die Studie.

„Wir waren immer etwas über die Zahlen irritiert“, sagt Rösiger, die jahrelang eine Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende begleitete. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen habe kein eigenes Zimmer gehabt, Extraausgaben etwa für Ferien oder einen Kinobesuch der Kinder hätten sich die meisten nicht leisten können. „Ich hoffe, dass die Zahlen wachrütteln. Es braucht einen großen Wurf, nicht weiteres Klein-Klein.“

Zu den großen Würfen der vergangenen Legislaturperiode zählt Rösiger, dass der Unterhaltsvorschuss nicht mehr auf drei Jahre befristet ist. Seit Juli 2017 erhalten Alleinerziehende für Kinder bis zum 18. Lebensjahr Vorschuss, wenn Väter nicht oder nicht ausreichend zum Unterhalt beitragen. Dieser liegt je nach Alter des Kindes zwischen 154 und 273 Euro. Mit dem Vorschuss entfalle allerdings das Wohngeld – und damit auch der Anspruch auf den Kinderzuschlag von bis zu 170 Euro und auf das Bildungsteilhabepaket, mit dem bedürftige Familien Lernmittel, das Schulessen, eine vereinsmitgliedschaft oder auch Nachhilfe bezahlen können, kritisiert Rösiger. „Nötig sind andere Anrechnungsmöglichkeiten.“

Nicht alle profitieren von Kindergelderhöhung

Eine andere Anrechnung ist aus ihrer Sicht auch beim Kindergeld erforderlich. Die geplante Erhöhung um 10 Euro pro Kind und Monat von Juli 2019 an und weitere 15 Euro ab 2021 sei wichtig für Familien. Bei den Alleinerziehenden komme davon aber wenig an, sagt sie. Die Hälfte der Erhöhung können gegebenenfalls Väter vom Unterhalt abziehen. Bei Hartz IV-Empfängerinnen wird die ganze Erhöhung verrechnet.

Auch die Nachbesserungen bei der Mütterrente gehen Rösiger nicht weit genug. Mütter und Väter, die wegen der Kindererziehung in den ersten drei Jahren nicht erwerbstätig waren, müssten für jedes Kind drei Punkte erhalten, unabhängig von der Gesamtkinderzahl und dem Geburtsjahr der Kinder, sagt sie. Das brächte ihnen pro Kind und Betreuungsjahr eine monatliche Rentenerhöhung von etwa 30 Euro und wäre ein Beitrag, um Altersarmut zu verringern.

Einiges wäre schon erreicht, wenn der bürokratische Aufwand für Alleinerziehende abnähme, sagt Rösiger. Manche seien damit überfordert und nutzten teilweise Angebote wie etwa das Bildungsteilhabepaket gar nicht. Dass dieses künftig auch Lernförderung ermöglicht, wenn die Versetzung von Kindern nicht unmittelbar gefährdet ist, sei eine gute Entscheidung, reiche aber nicht. Nötig wäre aus ihrer Sicht eine Grundsicherung für jedes Kind statt vieler Einzelleistungen. Das sieht auch Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, die die Studie der Ruhr-Universität in Auftrag gegeben hat. Bund, Länder und Kommunen müssten gemeinsam handeln, „damit finanzielle Leistungen und Unterstützungsangebote tatsächlich dort ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden“.