Alle hatten erwartet, dass es heftig zugehen würde beim G20-Gipfel in Hamburg. Nun hat es geknallt – und zwar heftigst. Trotzdem ist die Ratlosigkeit auf einmal groß. Wer steckt hinter den Krawallen? Wie kam es dazu? Und was folgt daraus?

Berlin/Hamburg - Hamburg räumt auf, die Krawalltouristen sind abgereist, auch die meisten der 20 000 Polizisten. Aber die Diskussionen um die Folgen aus den Chaostagen an der Elbe haben gerade erst angefangen. Die wichtigsten Themen der Debatte:

 

Personelle Konsequenzen

Die Forderung kam pünktlich wie ein Pawlowscher Reflex. „Das war die größte politische Fehleinschätzung eines Hamburger Bürgermeisters aller Zeiten.“ André Trepoli hat das gesagt. Er ist Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, und mit dem Satz wollte er seine Forderung nach einem Rücktritt des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) begründen. Schließlich, so suggeriert Trepoli, habe der ja den G20-Gipfel in die Hansestadt geholt. Was so nicht ganz richtig ist, denn im Alleingang hat Scholz den Tagungsort gewiss nicht bestimmt. „Die Bundesregierung hat gemeinsam mit Hamburg alle Schritte geplant und vorbereitet“, beeilte sich am Montag Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) richtig zu stellen. Was im Klartext auch heißt, dass es keinen Grund für die Rücktrittsforderung an Scholz gibt. Altmaier war so fair, das auch so zu sagen. „Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht die Frage einer parteipolitischen Auseinandersetzung, sondern einer Auseinandersetzung zwischen Demokraten, die den Rechtsstaat verteidigen, und den radikalen, autonomen, linksextremen Minderheiten, die den Rechtsstaat herausfordern.“ Scholz wird sicher im Amt bleiben.

Organisatorische Fehler

Derweil beschäftigt sich die Politik mit der Frage, ob es klug war, ausgerechnet Hamburg zum Ort des Gipfels zu machen. Alle sind sich einig: Chaoten sollen nicht darüber bestimmen, wo Gipfel stattfinden. Aber dennoch hat Hamburg nachdenklich gemacht. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, Gipfel wie das G20-Format künftig nicht mehr in deutschen Großstädten auszutragen. „In einer deutschen Großstadt wird nie wieder so ein Gipfel stattfinden“, sagte er. Ein Sprecher verwies darauf, dass SPD-Chef Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel vor kurzem eine stärkere Anbindung der G20 an die UN angeregt hatten. Der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka wies im Gespräch mit unserer Zeitung darauf hin, das Hamburg „ideale Bedingungen für Gewalttäter“ geboten habe. „Die konnten sich in irgendeinem Hinterhof umziehen und in den Straßen schnell abtauchen“, sagte Lischka. Auch der Chef der Polizeigewerkschaft GdP, Oliver Malchow, sagte unserer Zeitung, man hätte den Ort „geschickter wählen können“. Mit der Roten Flora sei „das Logistikzentrum für die gewaltbereite Szene praktisch vor der Haustür“ gewesen.

Sehen Sie im Video die Bilanz vom G20-Gipfel in Hamburg:

Innerpolizeiliche Folgen

Unabhängig von der mitunter nicht unumstrittenen Polizeitaktik in Hamburg gab es aus den Reihen der Polizei selbst Kritik an der Organisation des Einsatzes. So wurden Berliner Beamte mit dem Satz zitiert: „Wir wurden verheizt.“ Die Berliner Polizei war mit sieben Hundertschaften beim Gipfel-Einsatz vertreten. Von den insgesamt 476 verletzten Polizisten kamen rund 130 aus Berlin – auch deshalb, weil sie aufgrund ihrer Einsatzerfahrung bei Krawallen von Autonomen besonders dorthin geschickt worden waren, wo es heiß wurde. Kritik kommt aber auch an der Verpflegung, nicht ausreichenden Unterkünften und an Dienstzeiten, die am Freitag und Samstag schon mal 20 Stunden betragen konnten. Oliver Malchow, der GdP-Vorsitzende, sprach von „drei Stunden Schlaf nach 30-Stunden-Einsätzen“. Mit „Arbeitszeitrecht hatte das alles nicht zu tun“, fügte er an. Auch die Versorgung der Beamten mit Essen sei „so nicht akzeptabel“ gewesen.

Politische Schlüsse

Die Debatte auf Bundesebene konzentrierte sich zu Wochenbeginn auf die Frage, ob die Krawalle zu politischen Konsequenzen führen müssten. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster hatte bereits am Samstag in unserer Zeitung die Erstellung einer europaweiten Gefährder-Datei für linke Gewalttäter gefordert. Eine Forderung, die am Montag breite Unterstützung fand. Bundesjustizminister Heiko Maas machte sich die Forderung zu Eigen. „Wir haben im Extremistenbereich keine ausreichende Datengrundlage in Europa“, sagte Maas. Offenbar hätten sich an den Hamburger Krawallen auch Straftäter aus Italien, Frankreich oder Spanien beteiligt. Deshalb benötige man innerhalb der EU eine Datei, „auf die alle Länder zugreifen können“, sagte der Minister. Zudem solle mehr Geld für die Beobachtung von Extremismus zur Verfügung gestellt werden. Politiker der CDU forderten zudem ein wesentlich härteres Vorgehen, gegen die Rückzugsräume von Linksautonomen: Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings, sagte, der Hamburger Senat müsse sehr schnell einen Plan vorlegen, „wie er den staatsverachtenden Sumpf in Teilen seiner Stadt trocken legen will“. Der Vorsitzende des Innenausschusses des deutschen Bundestags, Ansgar Heveling, sagte, etwa in der Hamburger Roten Flora oder der Berliner Rigaer Straße dürfe der Staat „keine rechtsfreien Räume zulassen“. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Stephan Mayer (CSU), forderte, „Hausbesetzungen durch die linksextremistische und autonome Szene“ dürften nicht geduldet werden. Derweil begann eine von Politikern der CDU und FDP angestoßene Debatte, ob der deutsche Linksextremismus nicht scharf genug bekämpft worden sei. „Der Linksextremismus wurde zu lange verharmlost“, sagte FDP-Chef Christian Lindner. SPD, Grüne und Linkspartei seien gefordert, „die Politik der falschen Toleranz zu beenden“.

Linksextremistische Gewalt

Die Zahl linksextremistisch motivierter Gewalttaten ist laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2015 von 1608 auf 1201 gesunken. Die Zahl ist nicht besonders aussagekräftig, denn 2016 fehlte es an „Ereignissen, die Linksextremisten zu großen überregionalen Protestdemonstrationen nutzen konnten“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten stieg demnach von 7700 auf 8500 – immerhin um rund zehn Prozent. Treibende Kraft sind dabei die Autonomen. Deren Zahl kletterte von 6300 auf 6800.