Hierzulande ist die Bedeutung von Online im Wahlkampf gering

 

Der Soziologe Jungherr sieht den Hauptgrund für die immer noch vergleichsweise geringe Bedeutung des Online-Wahlkampfes in Deutschland in der Art der Wahlkampfführung: „Im Gegensatz zu den USA erleben wir seit mehreren Jahren sehr deeskalierende Wahlkämpfe. In Amerika sind die Wahlkämpfe viel schärfer, der Gegner wird heftiger angegriffen, die gegnerischen Lager werden gegeneinander aufgestachelt.“ Dadurch hätten die Wähler einen Anreiz, sich im Netz näher über die Parteien und ihre Positionen zu informieren. Diese Motivation werde in Deutschland durch die stark auf Konsens ausgerichtete Wahlkampfführung genommen.Dennoch ermögliche der Wahlkampf im Internet eine erfolgreiche Verbreitung von politischen Standpunkten, erklärt die Medienwissenschaftlerin Jessica Einspänner von der Universität Bonn. „Wenn eine Partei auf ihrer Facebook-Seite einen witzigen Wahlwerbespot veröffentlicht und dieser von Usern diskutiert und durch ‚Gefällt mir‘- und ‚Teilen‘-Klicks immer weiter verbreitet wird, ist das für die Partei schon die halbe Miete. Sie lässt dann andere für sich arbeiten.“ Dadurch werde die Reichweite von Wahlkampagnen erhöht und insbesondere die wichtige Gruppe der Erst- und Jungwähler erreicht, ohne dass die Parteien dafür große Anstrengungen unternehmen müssten.

Auch Andreas Jungherr sieht die Hauptfunktion des Internetwahlkampfes in Deutschland bislang in der Generierung von öffentlicher Aufmerksamkeit und – bestenfalls positiver – Medienberichterstattung: „Medien vergleichen zum Beispiel gerne die Anzahl der Facebook-Freunde von Angela Merkel und Peer Steinbrück“, sagt Jungherr. „Wenn Angela Merkel dabei mehr Freunde hat als Steinbrück, wird das so interpretiert, dass sie erfolgreicher ist. In der Folge gibt es eine positive Berichterstattung über Merkel und in der Bevölkerung die Wahrnehmung, dass sie höhere Erfolgschancen bei der Wahl hat. Dabei gibt es überhaupt keinen kausalen Zusammenhang zwischen Facebook-Freunden und Wählerstimmen.“ Die positive Berichterstattung über einen bestimmten Kandidaten könne sich allerdings durchaus auf das Wahlergebnis auswirken.

Eine erfolgreiche Wahlkampfführung ist für Parteien heutzutage ohne das Internet schlichtweg nicht mehr möglich. Der Soziologe Jungherr betont allerdings, dass das Internet in Deutschland dennoch bislang nur „eine schöne Ergänzung, aber nicht Ersatz für den herkömmlichen Wahlkampf“ sei. So sieht es auch die Medienwissenschaftlerin Einspänner: „Zwar wird der Internetwahlkampf in Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen, allerdings weiterhin komplementär zum gewöhnlichen Wahlkampf. Es wird noch lange dauern, bis der Online-Wahlkampf wichtiger wird als der Offline-Wahlkampf.“