Stuttgarts OB Wolfgang Schuster ist am Samstagabend offiziell in den Ruhestand verabschiedet worden. Vor der Liederhalle haben Stuttgart-21-Gegner protestiert – im Saal war der Tiefbahnhof dagegen ein Tabuthema.

Stuttgart - Der Gegensatz von Innen und Außen konnte nicht größer sein: Im Beethovensaal verabschiedeten am Samstagabend 1400 geladene Gäste, neben ehrenamtlich tätigen Bürgern viele politische Weggefährten aus 25 Jahren im Rathaus sowie Prominenz aus Wirtschaft und Gesellschaft, feierlich den nach 16 Amtsjahren ausscheidendenden Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und seine Ehefrau Stefanie – und draußen pfiffen sich rund 200 von Polizeikräften beobachtete Stuttgart-21-Gegner die Finger wund. Auch an seinem vorletzten Arbeitstag waren also jene Geister erschienen, die der OB mit seiner Verweigerung gerufen hatte, 67 000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen den Tiefbahnhof entgegen zu nehmen. Diese Art von Begleitmusik fand nicht nur die Bürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) total daneben, sondern auch der Freiburger OB Dieter Salomon von den Grünen.

 

Während das Ehepaar Schuster bei seinem von Schul- und Hortkindern begleiteten Einmarsch in den Saal warmen Willkommensapplaus erhielt, gerieten für Gäste wie den CDU-Fraktionschef im Gemeinderat, Alexander Kotz, die wenigen Meter vom Parkhaus zum Halleneingang zum Spießrutenlauf. Die protestierenden Bürger betrachteten Schuster eben nicht als „Glücksfall“, der sich für Nachhaltigkeit, Mobilität, Integration und eine kinderfreundliche Stadt stark gemacht habe, wie der Erste Bürgermeister Michael Föll (CDU) bekundete; auch nicht als einen, der es „gekonnt hat“, wie der Ingenieur Werner Sobek sagte und schon gar nicht als „guter Kutscher“, wie Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück meinte. Die Demonstranten nannten ihn „Denkmalschänder, Parkzerstörer, Bürgerentscheids-Verhinderer“.

Ohne den Protest von S-21-Gegnern wie dem beim Polizeieinsatz im Schlossgarten schwer verletzten Dietrich Wagner wäre das Problemprojekt an diesem Abend unerwähnt geblieben. Weder der Kabarettist und Schuster-Duzfreund Christoph Sonntag, der durch den Abend führte, erwähnte die Auseinandersetzung, noch der EU-Kommissar Günther Oettinger, der als Ministerpräsident den Finanzierungsvertrag mit unterschrieben hatte, oder die Hauptperson selbst, die sich vehement für die Tieferlegung des Bahnhofs eingesetzt und darüber mit Teilen der Bürgerschaft über Kreuz geraten war. Und Schusters Presseabteilung hatte es tatsächlich geschafft, einen halbstündigen Film über das Wirken des Rathauschefs zu basteln, ohne dass S 21 darin vorkam. So blieb es dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) vorbehalten, neben den vielen Gemeinsamkeiten mit dem Stadtoberhaupt – etwa in der Bewertung des „Schwarzen Donnerstags“ – an Schusters positive Grundhaltung zu S 21 zu erinnern, einen Punkt, „an dem wir uns nicht einig waren“.

Ehrenbürgerurkunde und Ehrentitel für Schuster

Insgesamt hat die Stadt ihrem OB und seiner Gattin, die sich für das Kinderkrankenhaus Olgäle eingesetzt hat und dies auch weiterhin tun wird, wenn sich ihr Mann in seinen zahlreichen Ehrenämtern der kommunalen Sache auf nationaler und internationaler Ebene widmet, einen denkwürdigen Abschied bereitet. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von den Stuttgarter Philharmonikern und dem Stuttgarter Jugendorchester unter der Leitung von Alexander Andiarte sowie von dem elfjährigen Pianisten Robert Neumann. Die Gauthier Dance Company erfüllte dem OB den Traum vom 1:0-VfB-Sieg über Meister Dortmund – wer hätte gedacht, dass man Tätlichkeiten, Rudelbildung und einen verwandelten Freistoß auch tanzen kann?

In der rund 100 000 Euro teuren Veranstaltung, die aus dem städtischen Repräsentationsfonds bezahlt wird, wurde Schusters Einsatz für Integration und ein friedliches Zusammenleben der Kulturen in Wort und Tat gewürdigt. Schusters Hinweis, wer in Stuttgart lebe, sei ein Stuttgarter, wurde gleich mehrfach erwähnt. Michael Föll überreichte seinem Chef, der sich in das Goldene Buch der Stadt eintrug, die Ehrenbürgerurkunde. Ministerpräsident Kretschmann verlieh ihm bei der Veranstaltung den nur selten vergebenen Ehrentitel eines Professors. Zwei von der Landesregierung zur Verleihung der Ehrung in Auftrag gegebene wissenschaftliche Gutachten würdigen Schusters Bereitschaft zur „Aufnahme von Impulsen aus Kunst und Wissenschaft für die Weiterentwicklung eines Gemeinwesens“ und heben seine „herausragende Leistung für die Kommunalwissenschaft“ hervor. Beide Gutachten kommen zum Schluss: „Mehr als nihil obstat: die Ehrung ist verdient.“ Diesem wissenschaftlichen Urteil schließe er sich gerne an, so Kretschmann: „Schuster ist mit dem Ziel angetreten, Stuttgart stärker zur Welt hin zu öffnen und international zu vernetzen. Das ist ihm zweifellos gelungen.“ Insbesondere zur Frage der „regierbaren Stadt in Zeiten der Globalisierung“ und zur Integration habe er Perspektiven entwickelt, die über die Tagespolitik hinausgehen. Er verabschiedete den Oberbürgermeister mit dem Satz: „Herzlichen Glückwunsch, Herr Professor.“

Neben dem amtierenden Landeschef waren auch drei ehemalige Ministerpräsidenten zur Verabschiedung gekommen: Lothar Späth, Erwin Teufel und Günther Oettinger. Der vierte im Bunde, Stefan Mappus, war nicht nur physisch nicht anwesend – sämtliche Redner vermieden es auch tunlichst, seinen Namen in den Mund zu nehmen. Oettinger sagte, Stuttgart habe Glück gehabt, mit Arnulf Klett, Manfred Rommel und Wolfgang Schuster die richtigen Männer zur richtigen Zeit an der Spitze gehabt zu haben. Er würdigte seinen Parteifreund als „überzeugten Europäer“, der visionär und stets auf Augenhöhe mit Experten und Politikern sei. Pflegeleicht sei er nicht, und schon gar nicht leichtlebig. Selbst bei Volksfesten und Bällen habe der Oberbürgermeister ständig über Projekte geredet. Die Bildungsministerin Annette Schavan betonte, Schuster sehe das Große im Kleinen, er erkenne Themen früher als andere und übersetze sie in die Sprache der Bürger. Er schmiede Bündnisse über die Stadtgrenzen hinaus.

Empfehlungen für den künftigen OB Kuhn

Etwa mit Kadir Topbas, dem Bürgermeister von Istanbul. Am Vormittag hatten die beiden das BiL-Schulzentrum eingeweiht und das Istanbul-Stuttgart-Center gegründet, das die Zusammenarbeit der Städte erweitert (siehe Seite 17). Bevor der Istanbuler Schultes zum Flughafen eilte, hinterließ er Schuster ein besonderes Schreibgerät: einen von 1923 (in diesem Jahr wurde die Türkei gegründet) zertifizierten Kugelschreibern. Topbas zündete ein derartiges Feuerwerk an Freundlichkeiten, dass sogar die Simultandolmetscherin ins Schlittern geriet. Mit Schusters Engagement könnten die Kommunen nicht nur bei den Vereinten Nationen ankommen, sondern sogar im Weltsicherheitsrat, meinte sie – und korrigierte sich sogleich.

Aber was noch nicht ist, könnte ja der Nachfolger Fritz Kuhn erreichen. Schuster empfahl dem künftigen OB jedenfalls, die internationalen Beziehungen zu pflegen und forderte den Gemeinderat auf, seinem Nachfolger das Vertrauen zu schenken. Kuhn fand den Abend kurzweilig und gelungen, nachdem er die Dauer von mehr als drei Stunden zuerst als Drohung empfunden habe. Dass Moderator Sonntag in Kuhns Amtszeit „Mountainbike-Staus im Kappelbergtunnel“ befürchtet und ein Parkplatz eine Rarität würde, sah der neue OB sportlich. Schließlich kann er bei seiner Amtseinführung (Montag, 16.30 Uhr, Rathaus) seine Ziele selbst erklären.