Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sind in Deutschland die Ausländerzahlen beim Bürgergeld gestiegen. Bewertet wird der Anteil hilfebedürftiger Ausländer unterschiedlich. Überblick über hitzige politische Debatte.
Fast jeder Zweite mit Bürgergeld hat keinen deutschen Pass. Über diese Quote gehen die Meinungen weit auseinander. Insgesamt waren von den rund 5,6 Millionen Empfänger der Grundsicherung im vergangenen Mai 2,7 Millionen Ausländer, wie aus einer Regierungsantwort auf eine BSW-Anfrage hervorgeht.
Parteigründerin Sahra Wagenknecht sagt: „Dass inzwischen fast die Hälfte der Bürgergeldempfänger keinen deutschen Pass hat, belegt das Scheitern der deutschen Migrations- und Integrationspolitik und trägt dazu bei, dass das Bürgergeld immer unpopulärer geworden ist.“
DGB: Debatte versachlichen
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) pocht hingegen auf eine sachliche Debatte, wie DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel erklärt. „Kriegsgeflüchtete suchen sich ihr Schicksal nicht aus, und Bürgergeld gibt es ausschließlich für anerkannte Geflüchtete.“ Eine Sprache zu lernen, den Abschluss anerkennen zu lassen und dann Arbeit zu finden, koste geflüchteten Menschen Kraft und Zeit. Deshalb steige die Erwerbstätigkeitsquote mit der Dauer ihres Aufenthalts.
Wagenknecht: „Traurige Bilanz für Regierung“
Piel erläutert zudem, dass ein Fünftel der rund vier Millionen arbeitsfähigen Bürgergeld-Beziehenden durchaus arbeiteten, ihr niedriges Gehalt aber mit Staatshilfe aufstocken müssten.
Wagenknecht hingegen stellt der Regierung eine „traurige Bilanz“ aus, da im Mai über 700.000 Ukrainer sowie über 700.000 Menschen aus Syrien und Afghanistan Bürgergeld bezogen, „statt ihr Einkommen durch eigene Arbeit zu sichern“. Sie betont: „Ein starker Sozialstaat funktioniert nur, wenn nicht jeder in ihn einwandern kann.“
Wer erhält in Deutschland Bürgergeld?
Laut einer Erhebung der Bundesagentur für Arbeit (BA) verfügt eine deutliche Mehrheit der Bürgergeld-Beziehenden in Deutschland über einen Migrationshintergrund. Bundesweit liegt ihr Anteil an allen Bezieher demnach bei 63,1 Prozent.
Wo ist die Zahl der Empfänger mit Migrations-Hintergrund besonders hoch?
Die höchsten Werte weisen laut den BA-Zahlen Hessen (76,4), Baden-Württemberg (74,1) und Hamburg (72,8) auf. Als Menschen mit Migrationshintergrund gelten laut der amtlichen Definition alle Personen, die selbst oder deren Eltern ohne die deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurden.
In den vergangenen zehn Jahren gab es demnach einen merklichen Anstieg der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, von 20 Prozent im Jahr 2013 auf 29 Prozent aktuell. Entsprechend stieg auch ihr Anteil an den Leistungsbeziehenden: 2013 lag er bei 43 Prozent, derzeit bei 63 Prozent.
Wie kommen die Zahlen zustande?
Die Bundesagentur stützt die genannten Angaben dem Bericht zufolge auf eine Vollbefragung aller Leistungsbezieher. Allerdings bestand keine Antwortpflicht, weswegen sich die Bundesagentur auf jene 73 Prozent der befragten Transferempfänger stützt, die Angaben zum Migrationshintergrund machen wollten. Die BA habe die Antworten dann hochgerechnet auf die Gesamtheit der Leistungsbeziehenden.
Was ist das Bürgergeld-Gesetz?
Mit dem sogenannten Bürgergeld-Gesetz („Zwölftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz“) vom 16. Dezember 2022 ist das Zweite Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) geändert worden. Das Bürgergeld hat damit die bisherigen Hartz-IV-Regelungen abgelöst. Mit Wirkung zum 1. Januar 2023 war die im SGB II geregelte Grundsicherung für Arbeitsuchende – also Arbeitslosengeld II und Sozialgeld– in Bürgergeld umbenannt worden.
Info: Bürgergeld
Wie hoch sind die aktuellen Regelsätze?
- Alleinstehende/Alleinerziehende (Regelbedarfstufe 1): seit 1. Januar 2024: 563 Euro
- Paare je Partner/Bedarfsgemeinschaften (Regelbedarfstufe 2): seit 1. Januar 2024: 506 Euro
- Volljährige in Einrichtungen (Regelbedarfstufe 3): seit 1. Januar 2024: 451 Euro
- Jugendliche von 14-17 Jahre (Regelbedarfstufe 4): seit 1. Januar 2024: 471 Euro
- Kinder von 6-13 Jahre (Regelbedarfstufe 5): seit 1. Januar 2024: 390 Euro
- Kinder von 0-5 Jahre (Regelbedarfstufe 6): seit 1. Januar 2024: 357 Euro
Wer hat Anspruch auf Bürgergeld?
• bei Bedürftigkeit
• bei grundsätzlicher Erwerbsfähigkeit
• oft im Anschluss an Leistungen auf das Arbeitslosengeld I
• Wer bisher Anspruch auf Arbeitslosengeld II hatte, wird künftig einen Anspruch auf Bürgergeld haben. Dafür müssen keine neuen Anträge gestellt werden. Infrage kommt das Bürgergeld auch für Menschen, deren Arbeitseinkommen nicht zum Lebensunterhalt reicht.
Wer bekommt Bürgergeld?
Bürgergeld bekommt, wer zwar mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten, seinen Lebensunterhalt mit den eigenen Einkünften aber trotzdem nicht bestreiten kann, weil er damit unter dem Existenzminimum bleibt. Weitere Voraussetzungen: Der Empfänger ist mindestens 15 Jahre alt und hat die Regelaltersgrenze für die Rente noch nicht erreicht. Zudem lebt er in Deutschland.
Aus welchen Gründen kann das Bürgergeld gekürzt werden?
• Pflichtverletzungen/Meldeversäumnisse: Leistungsminderungen gibt es beim Bürgergeld bei Pflichtverletzungen und bei Meldeversäumnissen. Eine Pflichtverletzung liegt zum Beispiel vor, wenn Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger Aufforderungen zu den im Kooperationsplan getroffenen Absprachen oder erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht nachkommen.
• Arbeit abgelehnt: Gleiches gilt, wenn sie sich weigern, eine ihnen angebotene zumutbare Arbeit, Ausbildung oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder das Zustandekommen durch ihr Verhalten verhindern. Auch wenn sie eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch geben, müssen Bürgergeld-Bezieher mit Kürzungen rechnen.
• Termin verpasst: Eine Minderung droht auch dann, wenn leistungsberechtigte Personen einer Aufforderung, sich bei ihrem Jobcenter persönlich zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen.
Um wie viel und wie lange kann gekürzt werden?
Komplettstreichung: Nach einem aktuellen Beschluss des Gesetzgebers kann denjenigen, die eine zumutbare Arbeit dauerhaft ablehnen, das komplette Bürgergeld für bis zu zwei Monate gestrichen werden. Das bedeutet: Das Jobcenter setzt die Zahlung des Regelsatzes aus.
Prozentuale Kürzungen: Bei einem ersten Pflichtverstoß – etwa wenn der Bezieher oder die Bezieherin der Aufforderung für Absprachen nicht nachkommt – droht eine Kürzung von 10 Prozent des Regelsatzes für einen Monat. Beim zweiten Pflichtverstoß innerhalb eines Jahres nach der letzten Minderung sind 20 Prozent für zwei Monate drin. Bei jeder weiteren Pflichtverletzung kann das Bürgergeld für drei Monate um 30 Prozent gekürzt werden. Bei Meldeversäumnissen liegt die Leistungsminderung bei 10 Prozent des Regelbedarfs für einen Monat.
• Miete/Heizung: Für sämtliche Kürzungen gilt: Die Zahlungen von Miete und Heizung bleiben davon unberührt. Eine Minderung erfolgt zeitnah im Monat nach dem Minderungsbescheid. Wenn jemand etwa am 10. Juni schriftlich von der Minderung erfahren hat, gibt es ab dem 1. Juli nur noch den gekürzten Satz.