Die Grünen haben bei ihrem politischen Aschermittwoch in Biberach dem Spott wenig Raum geboten. Doch an einige Stellen verteilten Cem Özdemir, Claudia Roth und Winfried Kretschmann ihre Spitzen.

Biberach - 1200 Besucher passen in die Biberacher Stadthalle. Zum politischen Aschermittwoch der Grünen wurde sie wegen Überfüllung geschlossen. Die Größen der Partei hatten sich unter dem Motto „vernarrt in Grün“ eingefunden: Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der frühere Bundesparteichef Cem Özdemir, die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, die Landtagspräsidentin Muhterem Aras, die Landesminister Winfried Hermann und Franz Untersteller oder auch die baden-württembergischen Parteivorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand.

 

Aschermittwochstypische polemische Sprüche blieben die Ausnahme in Biberach. Ganz wie es sich der Biberacher Finanzbürgermeister Roland Wersch in seinem Grußwort gewünscht hatte: „Richtungsweisende Reden sind wichtiger als derbe Sprüche, von denen hören wir derzeit genug“.

Fulminate Rede von Claudia Roth

Den Wunsch erfüllte Claudia Roth mit einer fulminanten Rede. Vehement appellierte sie an das faszinierte Publikum gegen Menschenfeindlichkeit und für globalen Zusammenhalt einzutreten. Sie mahnte die Rückbesinnung auf das humanistische Erbe an. „Es braucht nicht noch mehr Sprengmeister, es braucht Brückenbauer.“ Die AfD stelle jeden einzelnen vor große Aufgaben: „Wir müssen einschreiten, wenn die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Demagogie überschritten wird.“

Die Grünen trauern der gescheiterten Jamaikasondierung hinterher. „Mit uns wäre mehr drin gewesen“, meint Roth. Jetzt gebe es doch „unglaublich kleines Karo, da ist überhaupt kein Sound dahinter“. Das Klimakapitel im vorliegenden Koalitionsvertrag betrachtet Roth als „Beleidigung gegenüber unserem Planeten und gegenüber der Zukunft unserer Kinder“. Winfried Kretschmann nannte es „vollkommen unverantwortlich, da nicht knackig zu handeln“.

Die Flüchtlingspolitik lässt in Roths Augen Schlimmes befürchten. Bei der Aussetzung des Familiennachzugs habe sich „die CSU auf ganzer Linie durchgesetzt“. Dass die SPD das mitgemacht habe, „das ist richtig, richtig schlimm“, klagte Roth. „Das Recht der Familie ist unveräußerlich“, rief sie unter riesigem Applaus des Publikums. In einer Zeit, in der man „umgeben ist von Demokratieverächtern“, in der Deutschland „politisch, gesellschaftlich und ökonomisch tief gespalten ist“, vermisst Roth bei der möglichen großen Koalition den Gestaltungswillen. „Wir brauchen eine starke Politik“. Stattdessen erwartet Roth „graue Politik im Schneckentempo“.

Kretschmann wird aufs Korn genommen

Hin und wieder blitzte doch der Aschermittwochsspott durch. Mit Blick auf die SPD spottete Roth: „Sie sollten vielleicht einsehen, dass das mit der Politik doch nicht so das Richtige ist für die SPD.“

Das von der künftigen großen Koalition geplante Heimatministerium nahmen Roth wie auch Winfried Kretschmann aufs Korn: „Tucholsky hat recht, Satire darf alles“, meint Claudia Roth. Für Winfried Kretschmann „klingt der Begriff Heimatministerium ein bisschen nach Politkitsch“.

Auch Kretschmann, der ausführlich die Säulen der Landespolitik, Innovation, Nachhaltigkeit und Zusammenhalt der Gesellschaft skizzierte und seinen Begriff von Heimat darlegte, stellte sich gelegentlich in die Tradition der knackigen Sprüche. Mit Blick auf den US-Präsidenten Donald Trump meint er, „jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber nicht jeder hat das Recht auf eigene Fakten“.

Auch der Ministerpräsident blickte auf die gescheiterte Sondierung zu einer Jamaika-Koalition zurück: „Ich verstehe gar nicht, was das für ein Virus ist, dass plötzlich keiner mehr regieren will.“ Auch die Funktion der Opposition kennt er anders: „Opposition ist keine Rehaeinrichtung“. Das wisse er aus 30 Jahren auf der Oppositionsbank: „Wir haben Opposition gemacht, nicht weil wir wollten, sondern weil wir mussten“.

Özdemir spottet über GroKo-Klimaziele

Auch die FDP bekam ihr Fett weg: Kretschmann zeigte Unverständnis gegenüber Christian Lindner: „Die Alternative war nicht keine oder eine falsche Regierung. Die Alternative ist eine ordentliche Regierung.“

Cem Özdemir schließlich klagt: „Eher wird der HSV deutscher Fußballmeister, als dass die Groko in spe irgendein Klimaziel erreicht“. Er wünschte sich auch „dass das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur nicht mehr als Strafbataillon betrachtet wird“. Auch ihm waren die Themen wichtiger als der Spott. Dass die Türkei in der Koalitionsvereinbarung nur eine Randnotiz sei, ist für ihn kein Zufall. „Das ist der Versuch, einen schmutzigen Deal zwischen Berlin und Ankara zu machen“, vermutet er. Er befürchtet, dass „Deutschland die Türkei gegen die Kurden hoch rüstet“, damit im Gegenzug der inhaftierte Journalist Deniz Yüzel freigelassen werden sollte. Und dankte „ausdrücklich“ Yüzel dafür, dass der „für so einen schmutzigen Deal nicht zur Verfügung steht“.

Vollkommen gerührt zeigte sich Özdemir davon, dass Alex Köberlein, der Sänger der früheren Band „Schwoißfuß“ ihn auf der Bühne ankündigte. Köberlein sei das Ideal seiner Jugend, bekannte Özdemir. Köberlein hatte den früheren Grünen-Bundesvorsitzenden und während der Sondierungen als möglichen Außenminister gehandelten Özdemir mit dem Titel eines einstigen Hits der Gruppe angekündigt: „Oiner isch emmer der Arsch“. Vorerst noch, wie Köberlein meinte.