Die Polizei hat im Bundesstaat Ohio einen schwarzen zwölfjährigen Jungen erschossen, der in einem Park mit einer Spielzeugpistole herumfuchtelte. Drohen nun, drei Monate nach den Schüssen auf den afroamerikaner Michael Brown in Ferguson, erneut Unruhen?

Stuttgart - Am Ende könnte es daran gelegen haben, dass an Tamirs Spielzeugwaffe eine orange Markierung fehlte. Womöglich würde der zwölf Jahre alte Junge aus Cleveland im US-Bundesstaat Ohio dann noch leben. Doch von einer solchen Markierung am Ende des Pistolenlaufs sei nichts zu sehen gewesen, sagten die Polizisten, nachdem sie auf Tamir geschossen hatten. Sie nahmen an, dass es sich um eine echte Pistole handelte. Der afro-amerikanische Junge starb am Sonntag in einem Krankenhaus der Stadt am Eriesee – und in den USA droht wieder eine Debatte über Polizeigewalt auszubrechen.

 

Einem Passanten, so stellten es jetzt die Behörden dar, war der Junge am Samstagnachmittag aufgefallen, weil er in einem Park der Stadt mit einer Waffe herumfuchtelte und diese auf Menschen richtete. Der Mann rief die Polizei an und sagte: „Da ist ein Kerl mit einer Pistole. Die ist wahrscheinlich nicht echt, aber er richtet sie auf die Leute.” Zweimal, wie sich inzwischen herausstellte, wies der Anrufer darauf hin, dass es sich seiner Ansicht nach um eine Spielzeugwaffe handelte.

Beamten hielten Spielzeugpistole für echt

Doch die zum Park entsandten Beamten fühlten sich offenbar trotzdem bedroht – laut Medienberichten war ihnen nicht übermittelt worden, dass es sich um eine Spielzeugwaffe handeln soll. Eine Sprecherin der Polizei sagte, die Beamten hätten den Jungen aufgefordert, die Hände zu heben. Tamir habe aber das verweigert und in seinen Hosenbund gegriffen, wo die Spielzeugpistole steckte. Ein Polizist eröffnete daraufhin das Feuer. Eine Kugel traf das Kind im Leib. In der Nacht zu Sonntag erlag Tamir seinen Verletzungen.

Nach Worten von Polizeisprecherin Jennifer Ciaccia hätten die Beamten erst nach den Schüssen bemerkt, dass es sich um eine Druckluftspielpistole gehandelt habe, die einer halbautomatischen Pistole zum Verwechseln ähnlich sehe. Zumal noch die Farbmarkierung entfernt worden sei, die zur Unterscheidung von echten Waffen angebracht ist. Die Waffe habe „wirklich, wirklich echt” ausgesehen, sagte Ciaccia: „Und sie war riesig.”

„Sie haben ihren Job gemacht”

Tamirs Vater George Henderson warf der Polizei dagegen vor, völlig überzogen reagiert zu haben: „Ich versuche nicht zu weinen, aber es tut so weh.” Erstens habe sein Sohn im Regelfall den Anweisungen von Erwachsenen gehorcht, sagte der Mann der Lokalzeitung „Plain Dealer”. Und zweitens hätten die Beamten auch ein Elektroschockgerät verwenden können, um Tamir aufzuhalten: „Warum mussten sie auf ihn schießen? Und dann haben sie nicht auf die Beine gezielt, sondern auf den Oberkörper.”

Der stellvertretende Polizeichef von Cleveland, Ed Tomba, sprach von einem „sehr, sehr tragischen Vorfall”. Er verteidigte jedoch das Vorgehen der beiden Beamten. „Sie haben ihren Job gemacht”, sagte Tomba. Ein Vertreter der örtlichen Polizeigewerkschaft erklärte, die Beamten lernten in der Ausbildung nicht, auf die Beine zu zielen. „Wenn wir den Abzug drücken, dann weil wir das Gefühl haben, dass unser Leben in Gefahr ist”, sagte Jeff Follmer.

Noch herrscht Trauer und Entsetzen

Für Rechtsanwalt Timothy Kucharski, der Tamirs Familie vertritt, klang das nach Ausreden. Es sei doch offensichtlich, dass die Polizisten es mit einem Kind zu tun gehabt hätten. „Ein zwölfjähriger Junge ist doch kein ausgewachsener Mann.”

Noch herrscht in Cleveland nur Trauer und Entsetzen über den Tod Tamirs. Freunde und Verwandte des Junge legten Poster und Kuscheltiere am Unglücksort ab und stellte Kerzen auf. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Reaktionen schärfer werden. Denn auch in Cleveland ist die Geschichte von Michael Brown bekannt. Der 18 Jahre alte Afro-Amerikaner war im August in Ferguson im Bundesstaat Missouri von einem Polizisten erschossen worden. Tagelang kam es danach zu heftigen Straßenschlachten.