Bei den Kontrollen in der Tuning-Szene muss die Polizei ganz genau hinsehen. Hier reicht eine Taschenlampe, manchmal kommt aber auch ein Endoskop zum Einsatz. Foto: Jan Potente
Breite Reifen und laute Motoren: Bei einer Kontrolle der Poser- und Tuningszene deckt die Polizei in Fellbach etliche Verstöße auf. Ein Autofahrer muss sein geliebtes heiliges Blechle gleich stehen und von einem Abschleppdienst abholen lassen.
Annette Clauß
04.08.2024 - 17:00 Uhr
Eigentlich wollte der junge Mann seine Freundin in Stuttgart besuchen. Daraus wird jetzt erst mal nichts. Denn kurz vor dem Ziel hat ihn eine Zivilstreife des Polizeireviers Fellbach am Samstagabend in der Stuttgarter Straße aus dem Verkehr gezogen. Der Grund: Das Fahrzeug des Pforzheimers, ein grauer BMW der Dreier-Reihe, klang verdächtig laut in den Ohren der Polizisten.
Ein klassischer Fall für die Kontrollen, die das Polizeirevier Fellbach regelmäßig in der Tuning- und Poserszene vornimmt. Diese speziellen Überprüfungen sind gewissermaßen ein Steckenpferd des Reviers in Fellbach. Warum? Dessen Leiter Jan Kempe sagt, im Zuständigkeitsbereich seines Reviers seien eben viele getunte Fahrzeuge unterwegs. Die Nähe zu Stuttgart spiele da eine Rolle. Doch nicht nur die dortige Theodor-Heuss-Straße lockt Mitglieder der Tuning- und Poserzene an. Für manchen tut es auch die Bahnhofstraße in Fellbach, die Jan Kempe als „die Fellbacher Champs-Elysées“ bezeichnet. In der Nachbarkommune Waiblingen ziehen zum Beispiel die Mayenner Straße und die Fronackerstraße die Poser magisch an. Ihr Motto ist: Fahren, um gesehen zu werden.
Weil der „normale“ Polizist schnell an seine Grenzen komme bei der Frage, was in Sachen Tuning noch legal und was verboten ist, bilde sich sein Team regelmäßig weiter und versuche, das Wissen in der Praxis anzuwenden, erklärt Jan Kempe. So sind an diesem Abend mehrere Streifen unterwegs, die nach optisch und technisch aufgemotzten Fahrzeugen Ausschau halten – solche, die extrem tiefer gelegt sind, extra breite Reifen, Spoiler oder einen sehr lauten Motor haben.
Der Motor klingt verdächtig laut
Wollen die Polizistinnen und Polizisten ein Fahrzeug genauer in Augenschein nehmen, lotsen sie es in den städtischen Betriebshof. Dort warten Kollegen der Verkehrspolizei, ein Kfz-Sachverständiger und eine Hebebühne, mit der Autos im Zweifelsfall von unten inspiziert werden können.
Hier wird die Lautstärke eines Motors gemessen. Foto: Jan Potente
Der graue BMW des jungen Pforzheimers darf zunächst am Boden bleiben. Der Sachverständige zückt ein geeichtes Schallpegelmessgerät um herauszufinden, welche Lautstärke das Auto bei einer bestimmten Drehzahl und Standgas erreicht. 80 Dezibel sind in den Papieren eingetragen, der tatsächlich gemessene Wert liegt zehn Dezibel darüber.
Zum Messen wird das Gerät in einem festgelegten Abstand zum Auspuff aufgestellt. Bei der Gelegenheit fällt auf, dass das Auto extrem riecht. „Mir brennt es in der Nase“, sagt einer der Polizeibeamten. Also rauf auf die Hebebühne. Das ist jedoch gar nicht so einfach, denn das Auto liegt so tief, dass die Tragarme kaum darunter passen. Dann geht es schließlich doch in die Luft – und die Fachleute zücken ihre Taschenlampen.
Derweil rollen weitere Fahrzeuge auf den Betriebshof. Ein dunkelblauer Skoda, der extrem tief liegt. Ein junger Zweiradfahrer, dessen Motorrad etwas laut knattert. Ein junges Pärchen im schwarzen VW Golf. Dessen veränderte Teile sind zwar alle vorschriftsgemäß in die Papiere eingetragen, doch das Antiblockiersystem (ABS) des Autos streikt. Der weiße Golf einer Familie mit zwei kleinen Kindern folgt, der nicht nur mit auffallend lautem Motor, sondern auch zu schnell unterwegs war.
Der angetrunkene Vater wird zur Blutentnahme gebracht
Beim Vater stellt das Team zudem Alkoholgeruch fest. Der erste Messwert liegt über der 0,5-Promille-Grenze, prompt wird der Fahrer bockig und trinkt hektisch und verbotenerweise Wasser. Daher landet er in einem Mannschaftswagen. „Lass dich von deiner Mutter abholen“, ruft er seiner Frau noch zu, dann geht es für ihn in Richtung Stuttgart. Dort wird ein Amtsarzt eine Blutprobe nehmen – ob der Mann will oder nicht. Währenddessen organisiert das Polizeiteam Gummibärchen für die müde kleine Tochter. Die Ehefrau muss ans Steuer und Standgas geben. Auch hier misst das Team die Lautstärke und die Reifenabstände, gleicht Nummern ab und überprüft, ob das, was hier zusammengebaut wurde, auch wirklich beieinander sein darf.
„Wir hatten schon Polos, in die ein komplett anderer Motor eingebaut wurde“, erzählt Jan Kempe. Veränderungen, beispielsweise am Fahrwerk, könnten richtig gefährlich werden. „Auf dem Gebrauchtautomarkt sind viele schwarze Schafe unterwegs. Gerade bei Fahrzeugen, die durch viele Hände gehen, verändert jeder etwas.“
Das ist auch beim Auto des Pforzheimers so. Sorgenvoll beobachtet er, wie die Fachleute sein Auto checken und erzählt, er habe es vor einem Jahr von privat gekauft. Welche Veränderungen da schon erfolgt waren, lässt sich kaum herausfinden, aber, sagt Jan Kempe: „Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.“
Das Auto muss bleiben, der Fahrer darf gehen
Die Mängelliste, welche der Mann bekommt, reicht vom defekten Blinker über zu geringe Bodenfreiheit und falsche Radbolzen bis zu einem Katalysator, bei dem eine verdächtige Schweißnaht den Experten verrät, dass die Keramikschicht entfernt wurde, um die Leistung zu pushen. Das Auto darf nur noch auf einem Anhänger bewegt werden, für eine neue Betriebserlaubnis müssen die Veränderungen revidiert und ein Gutachten vorgelegt werden. Eine teure Sache. Der Mann schaut deprimiert, bleibt aber ruhig. Dann sagt er trotzig: „Ich komme nie wieder nach Stuttgart!“ Vorerst muss wohl seine Freundin zu ihm nach Pforzheim fahren.
Die Bilanz der Aktion
Kontrolle Die Polizei kontrollierte 15 Fahrzeuge, bei vier davon war danach die Betriebserlaubnis erloschen. In zwei Fällen mussten die Fahrer ihr Auto wegen erheblicher Mängel gleich stehen lassen. Vom 5. bis 11. August folgt in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern dann der Blitzermarathon.
Verstöße Es gab drei Anzeigen wegen Verursachen unnötigen Lärms, zwei Fahrten unter Alkoholeinwirkung, einen Verstoß wegen unzulässigen Rechtsüberholens und zwei erhebliche Geschwindigkeitsverstöße. Einen Autofahrer, der mit Tempo 180 auf der B 29 fuhr, ertappte und verfolgte eine mit Videokamera ausgestattete Zivilstreife.