Viele finden es befremdlich, dass die Polizei die Demo am Samstag in Stuttgart als „weitgehend friedlich“ eingestuft hat. Wir haben die wichtigsten Antworten zum Einsatz in der Innenstadt gesammelt.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Am Tag nach der großen Demo der „Querdenker“ reißt die Kritik an der Polizei nicht ab. Im Internet bricht ein regelrechter Shitstorm gegen die Einsatzkräfte los. Der Vorwurf lautet, die Polizei habe die schätzungsweise 15.000 Demonstrierenden gewähren lassen, die ohne Maske und Abstand durch die Stadt zogen – und das mitten in einer der schlimmsten Phasen der Coronapandemie.

 

Was war erlaubt? Was verboten? Die Stadt hatte im Vorfeld die Lage lange analysiert und sich gegen Verbote entschieden. Lediglich den Aufzug der für den Wasen angemeldeten 2500 Teilnehmer hatte sie nicht gestattet, dafür aber den Demozug vom Marienplatz zum Wasen – was letztlich dazu führte, dass die meisten „Querdenker“ vom Süden der Stadt und von anderen kleinen Kundgebungen durch die Stadt zum Wasen zogen. Die Stadt hatte als Auflage verfügt, dass sie Masken tragen müssen und der Mindestabstand von 1.5 Metern einzuhalten sei. Das sollte mit einer ebenfalls festgelegten Anzahl von Ordnern durchgesetzt werden – es ist die Verantwortung der Versammlungsleiter, dies sicherzustellen.

Wie lautet die Bilanz der Polizei? Der Einsatzleiter Carsten Höfler nannte die Demo einerseits „friedlich“. Damit meinte er aber nicht, dass er alles in Ordnung fand, was gelaufen war: Die Polizei heißt es keinesfalls gut, dass 10 bis 15.000 Demonstrierende ohne Rücksicht durch die Stadt ziehen. Das hört man auch heraus, wenn Höfler im Nachsatz sagt, der Einsatz sei „extrem unbefriedigend“, weil man eben nichts zur Durchsetzung der Corona-Schutzmaßnahmen tun konnte.

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Diese Zurückhaltung will die Polizei nicht als ein Gutheißen des Geschehenen verstanden wissen: „Wenn wir da reingegangen wären, um die Auflagen durchzusetzen, hätte das die Situation eher verschlimmert als verbessert im Hinblick auf den Infektionsschutz“, sagt Höfler. Ziel des Eingreifens der Polizei sei aber immer eine Verbesserung der Lage, betonte er.

Wie schätzte die Polizei die Lage im Vorfeld ein?

Die Polizei ist für gewöhnlich extrem zurückhaltend im Vorfeld von Demos. Dieses Mal fand sie klare Worte. Schon im Vorfeld äußerten sich der Polizeipräsident Lutz, sein Stellvertreter Markus Eisenbraun und der Einsatzleiter Carsten Höfler zu dem, was auf sie zukommen würde: Sie waren sich sicher, dass es deutlich mehr „Querdenker“ sein würden, als die angemeldeten 2500 auf dem Wasen.

Dass es dann 15.000 wurden, übertraf die Erwartungen jedoch. Auch war der Polizei klar, dass es ziemlich sicher zu Verstößen gegen die Auflagen kommen würde. Denn so war es auch bei anderen Demos dieser Klientel gewesen. Höfler hatte im Vorfeld betont, dass es eine Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und dem Infektionsschutz war, mit der sich die Polizei konfrontiert sah. Die „Querdenker“ durften demonstrieren, und das Recht auf freie Versammlungen ist ein sehr hohes Gut – die Polizei muss es durchsetzen, indem sie die Demo begleitet und schützt – auch wenn sie Bedenken hatte wegen der nicht eingehaltenen Auflagen.

Was kann die Polizei tun?

Tausendfach liest man im Internet, die Polizei hätte die Demo nicht ziehen lassen dürfen sondern auflösen müssen. Dem liegt ein Missverständnis zugrunde: Die Polizei kann und darf eine Demo nicht von sich aus auflösen. Das ist die Sache der Stadt als zuständiger Versammlungsbehörde. Nur die Stadt kann das verfügen. Die Polizei konnte also nur quasi den Schaden begrenzen: Die Demo so durch die Stadt leiten, dass es zu wenig Störungen kam, sprich die maskenlosen Demonstrierenden auf ihrer Route blieben.

Mitte März war es bei einer Coronaleugner-Demo zu brenzligen Situationen gekommen: Bei einer Demo im Schlossgarten hatte der Leiter die Versammlung angeblich wegen des schlechten Wetters vorzeitig aufgelöst. Die Teilnehmenden zogen dann in Gruppen kreuz und quer durch die Stadt – und es kam zu drangvoller Enge zum Beispiel an der Königstraße.

Das Vorgehen wirkte geplant. Solche Szenarien galt es zu verhindern. Auch war mehrfach die Rede, man wolle „kein zweites Kassel“: Dort waren ebenfalls Gruppen durch die Stadt gezogen, weil deutlich mehr gekommen waren als angemeldet, nämlich 20.000 statt 6000. Insofern hat die Polizei ihr Ziel erreicht: Obwohl eine extrem große Menge unterwegs war, konnte diese weitgehend konfliktfrei auf den Wasen begleitet werden.

Wer wird kritisiert? Neben der Polizei trifft viel Kritik auch die Stadt, die kein Verbot ausgesprochen hatte. Dabei betont die Polizei, sie habe sich im Vorfeld mehrfach mit der Stadt abgestimmt und war an den Kooperationsgesprächen mit den Versammlungsanmeldern dabei. Harte Worte wie die des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, teile die Polizei nicht.

Er sagte: „Offensichtlich scheint es ein Missverständnis zu geben, wenn die Stuttgarter Stadtverwaltung und damit die Versammlungsbehörde sich um klare Entscheidungen drückt und der Polizei dann den Mist vor die Füße kippt.“ Darauf reagierte Stefan Keilbach, der Sprecher der Stuttgarter Polizei, am Sonntag: „Das ist eine Ausdrucksweise, von der wir uns distanzieren. Das entspricht nicht dem Verhältnis zur Stadt und unserem Umgangston mit den Verantwortlichen im Ordnungsamt.“