Der Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner im September 2010 lief komplett aus dem Ruder. Hat sich der frühere CDU-Regierungschef Mappus als Scharfmacher betätigt? Für diesen hartnäckigen Verdacht seiner Gegner gibt es nun erstmals deutliche Hinweise aus der Polizeiführung.

Stuttgart - Der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat nach Darstellung von leitenden Polizeibeamten beim harten Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner die Marschroute vorgegeben. Wie nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa aus einem Bericht des Innenministeriums hervorgeht, hat den Beamten zufolge „die oberste politische Ebene“ rigide Vorgaben gemacht. Damit gibt es erstmals klare Hinweise aus der Polizeiführung, dass Mappus den harten Einsatz am 30. September 2010 beeinflusst hat – sogar die Vorgabe zum Einsatz der Wasserwerfer soll aus der Politik gekommen sein. Mappus und der damalige Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf hatten stets erklärt, es habe keine politische Einflussnahme gegeben. Von dem Ex- Regierungschef war am Freitag zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

 

Von dem Ex-Regierungschef war am Freitag zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Stumpf, der nach der Eskalation die alleinige Verantwortung übernahm und im April 2011 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt wurde, bekräftigte seine früheren Aussagen in den „Stuttgarter Nachrichten“.

Das Innenministerium hat den Bericht dem Untersuchungsausschuss zum Stuttgart-21-Einsatz übergeben. Es ist bereits der zweite Ausschuss, der klären soll, ob Mappus eine Mitschuld an der Eskalation trägt. Der Einsatz zur Räumung des Schlossgartens für die Baustelle des Tiefbahnhofs war als „Schwarzer Donnerstag“ bekannt geworden. Die Polizei hatte Wasserwerfer und Pfefferspray gegen Stuttgart-21-Gegner eingesetzt, die nicht zurückweichen wollten. Bei den Ausschreitungen wurden nach Angaben des Innenministeriums 130 Demonstranten und 34 Polizisten verletzt.

In dem Bericht werden vor allem Notizen mehrerer Beamter nach einer „Tagung Polizeilicher Aufgaben“ am 10. September zitiert. Bei der Tagung handelt es sich um regelmäßige Besprechungen der obersten operativen Führungsebene der Polizei. Das Ministerium bilanziert: „Während das offizielle Protokoll keinen Rückschluss auf irgendeine Form der politischen Einflussnahme zulässt, legen die Notizen einzelner Besprechungsteilnehmer die Annahme nahe, dass Polizeipräsident a.D. Stumpf auf der Tagung von solch einer Einflussnahme berichtet hat.“

„Softkurs“ sei nicht anzustreben, heißt es in den Notizen

Mehrere leitende Beamte notierten nach der Tagung, dass vom „Vorrang der politischen Entscheidungsebene“ die Rede gewesen sei. Fachliche Argumente fänden kein Gehör. In den Notizen zu einer Führungstagung der Bereitschaftspolizei findet sich der Hinweis, dass die Politik die Vorgabe gemacht habe, dass bei massiven Auseinandersetzungen auch Wasserwerfer eingesetzt werden sollten. Ein „Softkurs“ sei nicht anzustreben, heißt es darin. Das Ministerium folgert: „Die genannten Notizen könnten als Anhaltspunkte für eine mögliche politische Einflussnahme oder Einflussnahmeversuche auf den Polizeieinsatz am 30.09.2010 gewertet werden.“

Wie weiter aus dem Bericht hervorgeht, hat Mappus auch massiv auf den Abriss des Nordflügels des denkmalgeschützten Hauptbahnhofs im Spätsommer 2010 gedrungen. Nach Notizen eines leitenden Polizeibeamten soll Stumpf in einer Sitzung mit Mappus vorgeschlagen haben, den Transport eines großen Baggers zu verschieben, weil angesichts des Protests ein Kräftemangel bei der Polizei zu befürchten sei. Mehrere Ministerialdirektoren teilten demnach Stumpfs Meinung. Daraufhin habe Mappus gesagt: „Bringen Sie den Bagger rein. Wenn Sie nicht wollen, hole ich eine Polizei aus einem anderen Land.“ Der Abriss des Nordflügels Ende August markierte die ersten sichtbaren Bauarbeiten für Stuttgart 21.

Stumpf soll bei der polizeiinternen Tagung am 10. September auch davon berichtet haben, dass es zwischen den politischen und operativen Gremien „oftmals völlig unterschiedliche Vorstellungen gebe“. Vorschläge der Polizei und der Ministerialdirektoren aus dem Innen- und Verkehrsministerium würden von der politischen Leitungsebene „vom Tisch gewischt“. Zur damaligen Leitungsebene gehörten neben Mappus die damalige Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU), Projektsprecher Wolfgang Drexler (SPD), der Vorsitzende des Regionalverbands Thomas Bopp (CDU) und Bahnchef Rüdiger Grube.

Dokumente geben Untersuchungsausschuss neue Brisanz

Stumpf habe demnach erläutert, es gebe eine „enge politische Begleitung“ der Polizeieinsätze, weshalb langfristige Planungen nicht möglich seien. Auch geht aus Notizen hervor, dass die Polizei bereits von der geplanten Regierungserklärung von Mappus Anfang Oktober wusste. Der damalige Polizeipräsident übernahm nach der Eskalation die alleinige Verantwortung und wurde im April 2011 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt.

Diese neuen Hinweise geben dem neuen, von Grün-Rot beantragten U-Ausschuss eine neue Brisanz. Hintergrund für die Neuauflage waren bisher unbekannte E-Mails aus dem Staatsministerium. Vertreter von Grün-Rot äußerten immer wieder den Verdacht, dass Mappus sich bei einem Treffen mit der Stuttgarter Polizeispitze am Tag vor dem Einsatz als Scharfmacher betätigt habe. Erst kürzlich hatte aber Ex-Innenminister Heribert Rech (CDU) beteuert: „Für die Eskalation am Schwarzen Donnerstag gab es keine politische Verantwortung.“

Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Sascha Binder, hält es für möglich, dass Mappus, Stumpf und Gönner vor dem ersten Untersuchungsausschuss Falschaussagen gemacht haben. Da sei die Justiz gefragt. Grünen-Obmann Uli Sckerl meinte: „Die Geschichte dieses Schwarzen Donnerstags ist noch lange nicht zu Ende geschrieben.“ Die neuen Hinweise zeigten, dass die Koalition den neuen U-Ausschuss zum Polizeieinsatz zu Recht eingesetzt habe. CDU-Obmann Reinhard Löffler meinte mit Blick auf Parteifreund Mappus: „Wenn ich aufkläre, kenne ich keine Verwandten.“