Die Stadt Waldkirch weist ein neues Wohngebiet aus und belohnt sich mit einem Bauplatz. Doch der Eigentümer ist erbost. Er will gar nicht bauen. Der Streit eskaliert, bis die Polizei durchgreift.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Waldkirch - Die Bauarbeiter wollen endlich anfangen. Vermessungspunkte setzen. Einen Zaun ziehen. Aber Paul Oschwald, Brille und Blaumann, geht einfach nicht weg. Auch die Polizei kann ihn nicht umstimmen. Nach einer dreiviertel Stunde platzt den Beamten der Kragen. „Wir haben versucht, ihn mit sanfter Gewalt wegzuschaffen“, sagt Rocco Braccio, der Leiter des Polizeireviers Waldkirch (Kreis Emmendingen) später. Doch Oschwald legt sich bäuchlings auf seine Arme. Als sein Sohn seine Hilferufe hört, versuchen sechs Beamte, mit ihren Schlagstöcken die Arme frei zu stemmen.

 

„Mein Vater ist auf das Menschenunwürdigste geschlagen und getreten worden“, sagt Paul Oschwald junior. Auf Fotos sieht man, wie die Polizisten auf dem 66-Jährigen kauern, sein Gesicht in die Erde drücken. Oschwald habe sich nicht gewehrt, räumt Braccio ein. Aber er sei halt ein Bär von einem Mann. Da müsse man schon zupacken. Im Waldkircher Krankenhaus attestiert der Arzt später Prellmarken und Schürfungen am Brustkorb, mehrere Blutergüsse und einen Sehnenanriss im Schultergelenk.

Hat sich die Stadt illegal bereichert?

Von Waldkirch nach Wyhl sind es nur wenige Kilometer. „Nai hämmer gsait“, hieß es dort vor vierzig Jahren im Protest gegen den Bau eines Atomkraftwerks. Vielleicht sind die Menschen in diesem Landstrich seither ein wenig trotziger gegenüber dem Handeln von Behörden. Andererseits geht es im vorliegenden Fall nicht um ein Atomkraftwerk, sondern lediglich um ein Neubaugebiet. Das war bisher die Wiese der Familie Oschwald. Jetzt sind es Bauplätze und eine Parzelle davon soll plötzlich der Stadt gehören – für Oschwald ein Unding. Mehrfach rückten im Auftrag der Stadt schon Bauarbeiter an und mussten unverrichteter Dinge wieder gehen. Erst stand schweres landwirtschaftliches Gerät auf dem Stückle, dann weideten dort Oschwalds Schafe. Am Ende legte sich der Landwirt selbst quer. Der Streit zeigt, wie weit die Planungshoheit einer Gemeinde in die Rechte eines Eigentümers eingreifen kann.

Im Rathaus von Waldkirch sitzt Detlev Kulse, Brille und schwarzes Hemd, und schüttelt den Kopf. Dass es so weit kommen musste, sei sehr bedauerlich. Andererseits müsse man irgendwann einmal das Recht auch durchsetzen, sagte der Beamte. „Rechtsfreie Räume“ könne es auch auf einer Waldkircher Wiese nicht geben. Aus Sicht des Baudezernenten hat die Stadtverwaltung lediglich ein Baugebiet ausgewiesen und sich bei all dem ganz korrekt verhalten. Mehrere Gerichte hätten das bestätigt. Man prozessierte vom Amtsgericht bis hinauf zum Bundesverwaltungsgericht.*

Der Bauamtsleiter wittert eine Chance

Es begann vor mehr als zehn Jahren. Die Familie Oschwald verkaufte drei Grundstücke entlang der Elz im Ortsteil Kollnau an bauwillige Neubürger. Ein Laie hätte darin nicht viel mehr als eine logische Abrundung des dortigen Straßenzugs gesehen. Daneben standen Häuser, dahinter auch. Doch der Stadtplaner Kulse erkannte das Potenzial zu einer sehr viel größeren Entwicklung.

In Waldkirch ist Bauland knapp. Nach Freiburg sind es mit dem Auto oder der Breisgau-S-Bahn nur 20 Minuten. Für den Gemeinderat ließ Kulse deshalb einen Bebauungsplan erarbeiten, der nicht nur die drei Grundstücke, sondern auch das anschließende, sehr viel größere Areal jenseits der nächsten Straße umfasste. Es handele sich um einen „Außenbereich im Innenbereich“. Dort könnten zusätzlich fünf Stadtvillen, 18 Reihenhäuser und ein Mehrfamilienhaus entstehen, errechnete der Planer. Zwei Villen plante er direkt dort, wo Scheune und Bauernhaus der Oschwalds stehen. „Wir haben die Eigentümerfamilie auf einen Schlag zu Millionären gemacht.“

„Das soll Bauernhof bleiben“

Doch statt Dankbarkeit schlägt ihm seither Wut entgegen. So etwas habe er in 21 Jahren an der Spitze des Stadtbauamts nicht erlebt, sagt Kulse. „Das ist zum Highlight meines Berufslebens geworden.“ Die Oschwalds haben mit dem Gelände nämlich ganz andere Pläne. „Das soll ein Bauernhof bleiben“, sagt Paul Oschwald senior. Die Landwirtschaft betreibt er nur im Nebenerwerb, doch nach 350 Jahren im Familienbesitz möchte er nicht derjenige sein, der das Erbe verscherbelt.

Die Wiese werde weiterhin als Weide genutzt. Im vergangenen Jahr habe er mit seinem Sohn noch Heu gemacht. Jetzt grasen dort Richard, Roman und Detlev. Seine Schafe hat Oschwald nach dem Bürgermeister, dessen Vorgänger und dem Bauamtschef benannt. „Wenn wir hier bauen wollten, hätten wir das schon längst machen können“, ist der Senior überzeugt und zieht einen Umlegungsplan der damals noch selbstständigen Gemeinde Kollnau von 1961 hervor. Schon damals war das Gelände als Baugebiet erschlossen und eine Straße verlegt worden. Sie führte quer durch das heutige Baugebiet. „ Auf Heller und Pfennig wurde das damals abgerechnet“, sagt Oschwald. Die Querstraße ließ die Stadt nun wieder herausreißen. „Die Parzellen lassen sich so ja viel besser nutzen“, sagt Kulse.

Darf die Gemeinde zweimal kassieren?

Oschwald wäre das egal gewesen, wenn sich die Stadt für ihre ungewollten Dienste nicht reich entlohnt hätte. Mehrere 100 000 Euro dürfte das Grundstück in erster Reihe zur Elz wert sein, das sie nun aus dem Familienbesitz herausschnitt und sich selbst zuteilte. Umlegung nennt man so etwas. Man sei dabei sogar noch bescheiden gewesen, behauptet Kulse. Für Oschwald sieht es ganz anders aus: Die Gemeinde plane etwas, kassiere dafür. Dann finde sie, dass das selbst Geplante schlecht sei, plane neu und kassiere noch einmal. Doch nach so langer Zeit scheint das zumindest juristisch in Ordnung zu sein. Immerhin, bisher hat die Stadt Waldkirch wenig von ihrem neuen Bauplatz. Man werde ihn vorerst nicht auf den Markt bringen, sagt Kulse. Welchem Bauherrn könne man schon mit gutem Gewissen einen solchen Nachbarn zumuten?

*Anmerkung der Redaktion: In der Ursprungsfassung des Beitrags hieß es irrig „Man prozessierte vom Amtsgericht bis hinauf zum Bundesgerichtshof.“