Damit die Polizei auch wirklich Druck auf Verkehrssünder macht, muss sie Vorgaben des Innenministeriums fürs Erwischen von Gurtmuffeln und Handysündern erfüllen. Und steht damit selbst unter Druck.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Es gibt Autofahrer, die sich schon gewundert haben. Nach unserer Berichterstattung darüber, dass der Polizei bis auf jedes einzelne Revier genau Fangquoten für Gurtmuffel und Handysünder vorgegeben sind, wundert sie es nicht mehr. Ihre Fälle wecken zumindest den Verdacht, dass manche Beamte für die Erfüllung der sogenannten Orientierungswerte gewaltig übers Ziel hinausschießen.

 

Da ist ein 40-jähriger Fahrer eines Opel Omega, der am Donnerstag vorige Woche auf der alten B 14 an der Gemarkungsgrenze zwischen Fellbach und Bad Cannstatt herausgewinkt wird. Der Fahrer ist perplex, als er den Vorwurf hört: Er sei zuvor nicht angegurtet gewesen. Der 40-Jährige wehrt sich: „Ich bin die ganze Zeit angegurtet“, sagt er. Etwas anderes wäre auch ja auch zu dumm gewesen, weil er schon vorher von der Kontrollstelle wusste, die er zehn Minuten zuvor in Gegenrichtung passiert hatte. Als die Beamten ihm mit schärferen Konsequenzen drohen, gibt er auf. Zwei gegen einen, keine Chance. Er erwartet einen Bußgeldbescheid über 30 Euro.

Keine Chance gegen zwei Beamte

Ähnlich soll es einem 39-jährigen Fiat-Fahrer gegangen sein, der im Frühjahr in Nürtingen (Kreis Esslingen) von einer Streife angehalten wird. Ein Handy in der Hülle auf dem Beifahrersitz ist für die Beamten Beweis genug, dass er verbotenerweise mit dem Handy am Steuer telefoniert hat. Ihr Nachweis: Zwei Beamte als Zeugen zählen mehr als die Unschuldsbeteuerung des Fahrers. Das hört der Betroffene auch beim zuständigen Ordnungsamt: „Am besten sperren Sie ihr Handy in den Kofferraum.“

Die von unserer Zeitung aufgedeckten Vorgaben des Innenministeriums, wonach die Polizei dieses Jahr 130 000 Gurtmuffel, 80 000 Handysünder, 16 000 Alkohol- und 7000 Drogenverstöße am Steuer aufzudecken habe, stößt bei den Landtagsfraktionen auf teils deutliche Kritik, nicht nur bei der Opposition. „Quoten können als Richtschnur hilfreich sein“, sagt Petra Häffner, polizeipolitische Sprecherin der Grünen, „verbindliche Vorgaben auf den Revieren unter dem Motto ,Gut für die Quote’ lehnen wir aber ab.“ Um die Leistung der Polizei zu bewerten, seien Quoten das falsche Instrument. Nach Informationen unserer Zeitung sind solche Vorgaben bis auf Revierebene berechnet und werden monatlich überprüft.

Lieber Drogenhändler als Gurtmuffel fassen

Konsequente Verkehrsüberwachung sei wichtig, so der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Sascha Binder, „aber die Vorgaben müssen so realistisch sein, dass diese auch erfüllt werden können“. Für die AfD „klingt das wie Planwirtschaft in der DDR“, so der innenpolitische Sprecher Lars Patrick Berg. Statt sich um Salafisten und Gefährder zu kümmern, werde die Polizei mit unnötigen Quoten gegängelt. Die Fraktion werde zu den „nebulösen Vorgängen“ einen Berichtsantrag stellen. Hans-Ulrich Rülke von der FDP erwartet vom Innenminister, „dass er mehr Drogendealer von der Straße holt als Gurtmuffel, die mehr sich als andere gefährden“. Die Polizei „bis hinunter in die Reviere mit kleinteiligen Auflagen zu binden“, halte er nicht für sinnvoll, so Rülke.

CDU-Innenexperte Thomas Blenke verteidigt die Arbeit mit Orientierungswerten. „Die qualifizierte Verkehrsüberwachung ist wichtig“, sagt er, „und es ist sinnvoll, Schwerpunkte zu setzen.“ Verkehrssünder gefährdeten auch andere. Trotz „größter Einstellungsoffensive der Geschichte“ mit 1500 neuen Stellen und 1800 Auszubildenden stehe aber die personelle Talsohle noch bevor. „Da müssen wir durch“, so Blenke.

Das Innenministerium will von geheimen Fangquoten nichts wissen. „Die wenigsten Unternehmen tragen strategische Zahlen auf den Markt“, sagt Sprecher Renato Gigliotti zu dem Umstand, dass unsere Zeitung die Quoten für Stuttgart und Region selbst ermitteln musste. Statt Fangquote spricht er lieber von „modernem Controlling“.