Die grün-rote Landesregierung will durch eine abgestimmte Ausschreibung dafür sorgen, dass die abgelehnten alten Chefs und Vizechefs der zwölf neuen Polizeipräsidien zu ihren Ämtern kommen – das belegt eine Mail aus dem Ministerium von Reinhold Gall.

Stuttgart - Nach der Niederlage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe im Januar fand sich der politische Offensivspieler Reinhold Gall (SPD) in der ungewohnten Rolle des Verteidigers wieder. Er werde die Entscheidung akzeptieren und auf Rechtsmittel verzichten, versprach kurz nach dem Richterspruch der Innenminister im Landtag. „Den gerügten Punkten kommen wir selbstverständlich nach.“

 

Was war geschehen? Die Richter hatten Galls wichtigstes Projekt, die Polizeireform, zwar nicht gekippt, doch bereits beim Start schwer ramponiert. Die Auswahl der neuen Polizeipräsidenten samt deren Stellvertreter, so das Gericht, sei regelwidrig erfolgt, weil nicht für alle Bewerber aktuelle Beurteilungen vorlagen, jedenfalls nicht schriftlich dokumentiert waren.

Dies hatte das Ministerium auch eingeräumt, dabei aber geltend gemacht, dass der Inspekteur der Polizei, damals der inzwischen zum Landespolizeipräsidenten avancierte Gerhard Klotter, aufgrund „seiner persönlichen Kenntnis“ des fraglichen Personenkreises durchaus in der Lage gewesen sei, eine dem Leistungsbild der Bewerber entsprechende Auswahl zu treffen.

Kritiker Lautensack ein „Gegner der Reform“?

Damit zeigten sich die Richter nicht einverstanden; die meisten der neuen Chefs und Vizes mussten wieder abberufen werden.So kam es, dass die größte Polizeireform in der Geschichte Baden-Württembergs zwar nicht führungslos, freilich nur mit personellen Hilfskonstrukten in die Umsetzungsphase starten konnte. Dafür machte die Opposition Gall verantwortlich – verbunden mit dem Vorhalt, womöglich sollten an der Spitze der Präsidien Reformbefürworter zum Zuge kommen.

Im Fall des abgewiesenen Bewerbers Joachim Lautensack, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe, habe das Ministerium ja ausdrücklich auf dessen „Gegnerschaft zur Polizeireform verwiesen“. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf dem Innenminister eine Personalpolitik nach Gutsherrenart vor, die CDU-Fraktion im Landtag sprach von Willkür.

Gall bestritt, es seien nur Ja-Sager mit Posten bedient worden – und er beteuerte: „Für mich war es schon immer von großer Bedeutung, Stellenbesetzungen redlich vorzunehmen“ – konform mit dem Beamtenrecht und unter Berücksichtigung von Eignung, Befähigung und Leistung. So sollte es denn auch in dem neuerlichen Auswahlverfahren gehandhabt werden. Das Innenministerium schrieb die Stellen offiziell aus, obwohl dies nach dem Landesbeamtengesetz gar nicht nötig gewesen wäre.

Interne Mails mit Vorschlägen an den Landespolizeichef

Alles in Butter also? Nicht ganz. Nun keimen auch Zweifel an der Ausschreibung auf. Kann es womöglich sein, dass da nicht Bewerber gesucht werden, die einem ohne Ansehen der Personen erstellten Anforderungsprofils entsprechen, sondern umgekehrt das Anforderungsprofil auf einen vorab festgelegten Personenkreis – den vom Gericht gekippten Präsidenten und Vizepräsidenten – zugeschnitten wird?

Derlei vermutet die Opposition. Jetzt tauchen indes Mails aus der Herzkammer des Landespolizeipräsidiums auf, die diesen Spekulationen Nahrung geben. Zeitig am Morgen des 5. Januar antwortete Detlef Werner, der Inspekteur der Polizei, auf eine in der Nacht eingegangene Mail des Polizeipräsidenten Klotter, die sich auf eine Besprechung zur Ausgestaltung der Stellenausschreibungen bezog. Werner berichtete: „Über das Thema Einsatzerfahrung haben wir nicht gesprochen. Ich würde es aber weglassen. Ich habe mir zuvor die Kollegen betrachtet und überlegt, was diese in den letzten 5 – 10 Jahren gemacht haben. Wir würden mit einer Anforderung Einsatzerfahrungen Semling rauskicken.“

Franz Semling war im Rahmen der Polizeireform zum Polizeivizepräsidenten in Offenburg ernannt worden, verlor dieses Amt aber infolge des Karlsruher Urteils. Zuvor war er unter anderem Polizeireferent im Staatsministerium gewesen. Auch bei den vom Richterspruch betroffenen (und damit verhinderten) Vizepräsidenten Alfred Oschwald, Hans Becker, Uwe Stürmer, Reinhard Nething, Gerold Sigg und Hubertus Högerle zeigt sich Polizeiinspekteur Werner nicht sicher, ob sie eine „besondere Einsatzerfahrung aufweisen können“.

„Ich würde es weglassen“

Gegebenenfalls, so Werner, könne man schreiben, dass Erfahrungen bei der Planung und Leitung größerer Einsatzlagen „wünschenswert“ oder „von Vorteil“ wären, „mehr aber auch nicht“. Werner schließt mit der Frage, ob er eine entsprechende Passage in die Ausschreibung einfügen solle. In seiner Antwort winkt Landespolizeipräsident Klotter ab. Seine Nachfrage habe nur den Polizeipräsidenten, nicht deren Vizes gegolten. Und dann fügt er hinzu, dass „mit Blick darauf, dass die Profile auch in Zukunft Bestand haben sollen“, auf Anforderungen in Sachen Einsatzerfahrung verzichtet werden könne.

Nach dem Karlsruher Urteil sagte Innenminister Gall: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich bei einem nachgesteuerten Verfahren etwas ändert.“ Allerdings wolle er das auch nicht völlig ausschließen. Trotz dieses einschränkenden Nachsatzes sitzt der Minister in der Zwickmühle: Gehen die alten Polizeichefs tatsächlich allesamt siegreich auch aus dem zweiten Auswahlverfahren hervor, wird ihm dies den Vorwurf der Voreingenommenheit eintragen – womöglich mit neuen Klagen aus dem Kreis der unterlegenen Bewerber. Davon gebe es, berichtete Gall neulich im Innenausschuss, auf jede Stelle mehrere.