Der Schaden geht in die Millionen: Die Zahl der Fahrerfluchten bei Verkehrsunfällen steigt im Kreis Ludwigsburg kontinuierlich an. Selbst schwer verletzte Unfallfahrer suchen oft das Weite.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Kreis Ludwigsburg - Den Mann, der am 17. März an der Hirschlander Südumfahrung einem Skoda-Fahrer die Vorfahrt genommen und so einen Unfall heraufbeschworen hatte, hat die Polizei nicht gefunden. Das Abbiegemanöver des Unbekannten, der 50 bis 60 Jahre alt sein soll, hatte den Fahrer des Skoda zu einer Vollbremsung gezwungen. Ein VW hinter ihm war dem 35-jährigen Mann daraufhin ungebremst ins Heck geprallt. Die Beifahrerin im Skoda kam verletzt ins Krankenhaus, die beiden demolierten Autos konnte nur noch ein Abschleppfahrzeug vom Fleck befördern. Der Verursacher, der in einem wohl älteren schwarzen Smart unterwegs war, machte sich davon: Obwohl die Polizei ihn per Zeugenaufruf suchte, blieb er unauffindbar.

 

Nur etwa jeder dritte Fall wird geklärt

Fälle wie diese hat das Polizeipräsidium Ludwigsburg, das für 65 Städte und Gemeinden in den Kreisen Ludwigsburg und Böblingen zuständig ist, im Akkord aufzuarbeiten: Die Zahl der Verkehrsunfallfluchten stieg im vorigen Jahr weiter an und kratzt an der 7000er-Marke. Genau 6944-mal machten sich Unfallverursacher 2018 aus dem Staub, hat das Polizeipräsidium gezählt. Statistisch ist das jede fünfte Person, die einen Unfall verursachte. 2017 waren es 98 Fälle weniger gewesen, im Jahr zuvor wurden 6633 Fahrerfluchten registriert.

Die finanziellen Folgen sind massiv: „Durch Unfallfluchten sind vergangenes Jahr mehr als zwölf Millionen Euro Schaden entstanden“, bilanziert der leitende Polizeidirektor Martin Zerrinius. Nicht immer geht es um verheerende Zusammenstöße: „Auch bei Parkplatzremplern oder Rangierschäden kommen schnell 2000 Euro zusammen“, sagt Peter Widenhorn, Sprecher des Präsidiums. Doch es geht nicht nur um finanzielle Schäden: So gab es im vergangenen Jahr im Zusammenhang mit Unfallfluchten 242 leicht verletzte Personen. Was dabei irritiert: Die Verletzten waren fast immer die Unfallverursacher selbst, die vom Ort des Geschehens flüchteten – 235 an der Zahl. Und die 28 Schwerverletzten, die letztes Jahr bei den Unfallfluchten gezählt wurden, waren sogar ausschließlich die Crash-Verursacher selbst.

Oft stehen die Fahrer unter Schock

Als selbst Verletzter noch bewusst davonfahren, um zu versuchen, die Schuld am Geschehen zu kaschieren? Laut Peter Widenhorn kann man das nicht pauschal unterstellen: „Da muss man immer schauen, wie die Leute nach dem Unfall beieinander waren. Oft stehen sie unter Schock und reagieren irrational“, sagt der Polizeisprecher. Es gebe aber auch Fälle, in denen die Fahrerflucht gezielt begangen werde, „auch wenn ein solches Verhalten gesellschaftlich sehr geächtet ist“.

Nur rund jede dritte Fahrerflucht wird aufgeklärt, die Quote lag zuletzt bei 34 Prozent. Widenhorn schätzt diesen Wert als „vergleichsweise gut“ ein. Zeugen meldeten sich zwar meist nicht automatisch, nach öffentlichen Aufrufen erinnere sich aber doch immer mal wieder jemand, dass er etwas gesehen hat. Manchmal sind das Wahrnehmungen, denen im ersten Augenblick gar keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. „Wenn man an jemandem vorbeifährt, der am Fahrbahnrand steht und sein Auto begutachtet, kommt man möglicherweise nicht auf die Idee, dass er gerade eine Fahrerflucht begangen hat und schaut, wie sein Auto aussieht“, erklärt der Pressesprecher.

Recherche auch bei Werkstätten

Auch ohne externe Zeugen spürt die Polizei regelmäßig verschwundene Unfallfahrer auf. Mal bleiben Fahrzeugteile liegen, die zuzuordnen sind, mal führen Lackspuren in Kombination mit Recherchen bei Werkstätten auf die Fährte.

Immer wieder rühren sich aufmerksame Beobachter aus eigenem Antrieb bei der Polizei und tragen mit ihren Aussagen dazu bei, dass Leidtragende von fremdverschuldeten Kollisionen zu ihrem Recht kommen. So wie der Mann, der an einem Abend Ende März in Marbach mitbekommen hatte, wie ein Ford-Fahrer einen geparkten Seat streifte – was einen mehrere tausend Euro teuren Schaden zur Folge hatte – und weiterfuhr.

Der Zeuge merkte sich das Kennzeichen, rief die Polizei und behielt den Ford im Blick, bis die Beamten zur Stelle waren. Das Auto fanden sie nicht weit vom Unfallort entfernt; schnell war der Fahrer ermittelt. Die Polizei klingelte an seiner Haustür. Der 30-Jährige, der offenkundig zu tief ins Glas geschaut hatte, gab zu, dass er gefahren war. Er musste sich einer Blutentnahme unterziehen, die Beamten knöpften ihm den Führerschein ab.

Manchmal mehr Glück als Verstand

Und am Wochenende machte die Polizei in Bietigheim-Bissingen einen Verkehrsrowdy ausfindig, bei dessen Harakiri-Fahrt nur mit Glück keine Menschen zu Schaden gekommen sind: Der 25-Jährige überfuhr zunächst fast einen Fußgänger, der nur durch einen geistesgegenwärtigen Sprung zur Seite unversehrt blieb, dann waren ihm am Fahrbahnrand geparkte Autos im Weg, weshalb er frontal auf einen entgegenkommenden Opel zuraste, dann wiederum das Steuer herumriss und einen Stromverteilerkasten und eine Laterne rammte.

Sein Auto hatte der betrunkene Mann demoliert. Also versuchte er, sein Heil in der Flucht zu suchen – zu Fuß. Seine Chaos-Fahrt, die 24 000 Euro Schaden anrichtete, beschäftigte zeitweise sechs Streifenbesatzungen, fast ein Dutzend Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Stadtwerke. Ob angesichts solcher Vorfälle die Unfallfluchten-Bilanz dieses Jahr besser aussehen wird?