Die Polizei sorgt nicht nur auf den Straßen für Recht und Ordnung. Im Wasser spüren Taucher Waffen und auch Wasserleichen auf. Auf Tauchgang mit Thomas Weller bei der Suche nach einer Weltkriegsbombe.

Schorndorf/Stuttgart - Grob streift ein Mann seinem Kollegen einen Handschuh über die Hände. Er mahnt ihn zur Vorsicht: „Dort sind Glasscherben. Pass auf.“ Dann greift er dem Mann mit Taucherbrille und schwerer Montur unter die Arme, stützt ihn auf dem Weg in den trüben Fluss. Behutsam ertastet Polizeitaucher Thomas Weller den matschigen Boden, sein Körper verschwindet im Wasser.

 

An diesem Junitag sollen die Polizeitaucher der Wasserschutzpolizei Stuttgart in dem Fluss Rems nahe Schorndorf bei der Bergung einer Weltkriegsbombe helfen. Etwa 1,5 Meter unter der Oberfläche soll sich der zwei Meter lange Sprengkörper befinden. Ein Angler hatte Munitionsteile im Wasser gesichtet. Bei genauerem Hinsehen stießen Einsatzkräfte dann auf die Bombe, verborgen unter Steinen.

Probleme mit der Sicht

Ob Munition, Vermisste oder Tatwaffen - wenn danach in Gewässern gesucht wird, schlüpfen die Unterwassergesetzeshüter in Neoprenanzüge und beginnen mit der Suche. Weller, ein 50 Jahre alter hochgewachsener Mann ist Leiter der Taucher bei der Wasserschutzpolizei Stuttgart. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Polizist, bildet als Tauchlehrer auch Nachwuchs aus. Der Oberkommissar mag seinen Beruf: Die Abwechslung, die ständig wechselnden Einsatzorte.

Um an die Bombe zu gelangen, betreten Weller und sein Kollege gegen 10 Uhr einige Meter vom Fundort des Sprengkörpers entfernt den Fluss. „Wenn man zu nah ins Wasser steigt, dann wird zu viel Schlamm aufgewirbelt“, sagt Weller. Die Sicht sei ohnehin schlecht genug.

50 Taucher im Einsatz

Thomas Weller ist seit 1993 bei der Polizei, begann später eine Ausbildung bei der Wasserschutzpolizei. 1999 folgte die anspruchsvolle Tauchausbildung, bei der viele vorher wegen angeborener Herzfehler oder Problemen mit dem Trommelfell abgelehnt werden.

Bei der Wasserschutzpolizei Baden-Württemberg arbeiten nach Angaben der Polizei 50 Taucher, die auf neun Stationen im Land verteilt sind. Durchschnittlich rücken die Taucher zu 150 bis 160 Einsätzen im Jahr aus - 2019 waren es 154. Der Tauchdienst ist freiwillig und wird zusätzlich zu den Aufgaben der Wasserschutzpolizei gemacht. Zu den klassischen Einsätzen im Wasser zählen Umweltschutzeinsätze, Schiffskontrollen oder das Sichern von Spuren bei Einbrüchen in Hafenanlagen. Oft suchen die Taucher nach Vermissten. Das Retten hingegen übernehmen Taucher der Feuerwehr und DLRG, erklärt Weller.

Das mulmige Gefühl

Ist das ein gefährlicher Job? Weller spricht von einem „händelbaren Risiko“. Die Suche nach Wasserleichen ist für ihn trotz Erfahrung immer noch schwierig. „Man sucht mit einem mulmigen Gefühl“, sagt er. „Ich versuche eine Distanz zu wahren, dass ich nicht den Menschen sehe, sondern ein Objekt, das ich bergen muss.“ Nur so könne er die Schicksale von sich fernhalten. „Ganz spurlos gehen solche Funde an keinem Polizeitaucher vorbei. Insbesondere wenn es sich um Kinder handelt“, sagt Ralf Kusterer von der Polizeigewerkschaft im Südwesten. In Stuttgart gebe es Jahre mit mehr als 20 Toten im Wasser, so Weller, doch manchmal könne die Anzahl an einer Hand abgezählt werden.

Am Grund des Bodensees liegen Dutzende vermisste Tote, die verunglückt oder mit dem Boot gekentert sind. Die Wasserschutzpolizei Friedrichshafen führt mit Kollegen aus der Schweiz eine Art Vermisstenliste. Es sind (Stand: 8.7.20) 99 Vermisste im Bodensee.

Das finden die Taucher

Die Bombe in der Rems soll eingeklemmt zwischen zwei großen Steinen liegen. Aber wo ist der Koloss plötzlich? Die Polizeitaucher greifen ins Leere, tauchen immer wieder an die Oberfläche. „Ich glaube, ich habe das Teil“, knirscht es aus dem Funkgerät. Die Taucher legen Gurte um die Steine, ein Unimog der technischen Polizeieinheit hievt beide Brocken aus dem Wasser - die Bombe liegt jetzt frei.

Unter der Wasseroberfläche finden sich immer wieder unterschiedliche Gegenstände. Weller stieß schon auf Einkaufswagen, zu Bomben umfunktionierte Feuerlöscher oder aufgebrochene Tresore nach Überfällen. Weller erinnert sich an die Suche nach einem Revolver - braunes Wasser in dem Fluss nach einem Hochwasser erschwerte die Suche nach der Tatwaffe. Weller tastete blind über den Boden. „Das kann nicht sein, dass wir hier die Waffe finden“, waren sich Weller und seine Kollegen einig. Sie machten weiter. Plötzlich umgriff er einen Gegenstand und hielt den Revolver in den Händen. „Das Gefühl ist genial“, sagt Weller.

Arbeit schweißt zusammen

Weller rückt besonders gerne zu den Kampfmittel-Einsätzen aus. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs haben Soldaten besonders viel Waffen und Granaten in Flüssen entsorgt. Auch nach Jahrzehnten können sie noch explodieren. Die Taucher der Polizei sind meistens für das Aufspüren zuständig - die Bergung der explosiven Gegenstände erledigen Taucher des Kampfmittelbeseitigungsdienstes.

Um 12.30 Uhr stemmt der Unimog den rostigen Koloss aus dem Wasser und hievt ihn auf eine Ladefläche. Funde von Bomben in dieser Größe sind eher selten, sagt Weller. Die Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes fassen die deutsche Bombe vom Typ SC nur mit Handschuhen an. Der Zünder ist zwar defekt, aber im Inneren sind noch giftige Stoffe wie die Säure Pikrin, erklärt Christoph Rottner vom Kampfmittelbeseitigungsdienst. Der Sprengkörper wird später in einer speziellen Anlage entsorgt.

Weller ist zufrieden mit dem Einsatz. Die Entdeckungstouren im Wasser schweißen zusammen, sagt er. Bald will er mit Kollegen ans Rote Meer reisen, in der Tiefe befinden sich Wracks, darunter einige Panzer. Da draußen sei noch viel Kriegsgerät vorhanden - und das reizt Weller: „Mir macht das Spaß, weil man in die Geschichte eintaucht.“ Der nächste Tauchgang folgt am Abend im Training des Tauchvereins. Es ist eben nicht nur sein Beruf, sondern auch Hobby.