Bisher hieß es stets, der in Heilbronn schwer verletzte Polizist könne sich nicht erinnern. Nun taucht ein Phantombild auf, das nach seinen Angaben gefertigt wurde. Es zeigt nicht die verdächtigen NSU-Männer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Bundesanwaltschaft hält sich bedeckt. Nein, erklärte ein Sprecher der Karlsruher Behörde auf StZ-Anfrage, die Veröffentlichung der Phantombilder zum Heilbronner Polizistenmord werde man nicht kommentieren. Dafür habe man viel zu viel Respekt vor dem Grundrecht der Pressefreiheit, das „für den demokratischen Rechtsstaat von überragender Bedeutung ist“.

 

Gefallen kann es Generalbundesanwalt Harald Range indes nicht, dass die 14 Phantombilder von möglichen Tätern, Zeugen oder Beteiligten des Geschehens vom 25. April 2007 neuerdings im Internet zu sehen sind: Als erstes Medium hat die in Stuttgart ansässige „Kontext Wochenzeitung“ sie diese Woche veröffentlicht. Immerhin hatten die Sicherheitsbehörden bisher entschieden, sie unter Verschluss zu halten – aus Gründen, um die eine seltsame Geheimniskrämerei betrieben wird. Die Staatsanwaltschaft Heilbronn schweigt unter Verweis auf die Abgabe des Verfahrens an die Bundesanwaltschaft, dort wiederum heißt es, zu den Beweggründen anderer Behörden könne man „naturgemäß keine Stellung nehmen“.

Keinerlei Ähnlichkeit mit den NSU-Männern

Fragen an Range und seine Behörde wirft vor allem ein Bild auf, das einen jungen Mann mit ebenmäßigen Gesichtszügen, akkurat geschnittener Frisur, leicht dunklem Teint und starkem Bartschatten zeigt. Es wurde nach Beschreibungen des Polizeibeamten Martin A. gefertigt, der das Attentat auf der Heilbronner Theresienwiese anders als seine Kollegin Michèle Kiesewetter schwer verletzt überlebt hatte, und soll einen der beiden Täter zeigen.

Indes, die abgebildete Person hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit jenen beiden Männern, die die Bundesanwaltschaft für die Täter hält: Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), die im November 2011 in Erfurt starben. So steht es in der Anklageschrift zur NSU-Mordserie, die derzeit vor dem Oberlandesgericht München verhandelt wird; angeklagt sind die Gefährtin der beiden toten Tatverdächtigen, Beate Zschäpe, und vier weitere Beteiligte.

Der Verdacht stützt sich auf die Waffenfunde

Aus Rücksicht auf die laufende Hauptverhandlung möchte die Bundesanwaltschaft nicht verraten, „auf welchen Beweisen und Indizien“ ihre Erkenntnis beruht. Es dürften jedoch dieselben sein, die schon die Staatsanwaltschaft Heilbronn auf Böhnhardt und Mundlos als Täter schließen ließen: In dem ausgebrannten Wohnmobil, wo beide erschossen gefunden worden waren, wurden die in Heilbronn entwendeten Polizeiwaffen entdeckt. Die Tatwaffen – eine Radom 9 Millimeter Luger und eine Tokarev – fanden sich in der Zwickauer Wohnung des Trios, nebst Handschellen und Pfefferspray; auch im Bekennervideo wurde ausdrücklich auf den Polizistenmord Bezug genommen.

Irritierend ist nicht nur, dass der von Martin A. beschriebene Täter völlig anders aussieht als die NSU-Männer, sondern vor allem, dass es überhaupt eine Beschreibung von dem Polizeimeister gibt. Gegenüber Medien und Öffentlichkeit hatten die Behörden nämlich stets behauptet, A. könne sich „an nichts erinnern“. Dabei soll er einen der beiden Täter im Rückspiegel gesehen und daraufhin leicht den Kopf gedreht haben, was ihm wohl das Leben rettete. „Er hatte klare und konkrete Erinnerungen an die Situation, die er sich immer wieder vor seinem inneren Auge abrief und beschrieb“, protokollierten die Heilbronner Ermittler.

Sorge um das Leben des Polizeimeisters

Nach diesen wurde im November 2010, also dreieinhalb Jahre nach der Tat, das Phantombild angefertigt – ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft, die sich später gegen die Veröffentlichung entschied. Der zuständige Staatsanwalt erklärte dies bei seiner Vernehmung vor dem Berliner NSU-Untersuchungsausschuss mit den Persönlichkeitsrechten des Polizisten, ging aber nicht näher auf die Gründe ein. Im Übergabebericht der Heilbronner an die Bundesanwaltschaft vom Januar 2012 steht klipp und klar, warum es bei der Legende vom Nichterinnern bleiben sollte – und es mithin auch kein Phantombild geben durfte. „Jedes Abweichen von der ursprünglichen Aussage“ hätte „Spekulationen eröffnet, die zu einer erheblichen und durch nichts zu rechtfertigenden Gefährdung des Lebens des Zeugen Martin A. hätte führen können“. Angesichts der „Skrupellosigkeit“ von Böhnhardt und Mundlos hätte eine solche Gefahr „in hohem Maß bestanden“. Nun, da beide tot sind, müsste der Beamte eigentlich keine Angst mehr haben – es sei denn vor dem Mann auf dem Phantombild. Die Qualität seiner Erinnerungen wird in dem Bericht indes stark relativiert. Unter dem Erwartungsdruck seiner Kollegen, so eine These, habe er die Gedächtnislücken mit „rekonstruierten Inhalten“ gefüllt.

Vielleicht bringen die jetzt öffentlichen Bilder ja neue Hinweise zu dem Fall. Die Bundesanwaltschaft teilte immerhin mit, wohin diese zu richten seien: an das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter oder „jede andere Polizeidienststelle“.