Das Pop-Freaks-Festival im Merlin will „Propaganda für deutschen Pop“ machen. Das gelingt, weil tolle Bands nach Stuttgart kommen und das Publikum Lust hat auf neuen Pop – von Dagoberts Schnulzensongs bis zum knochentrockenen Sound von Oum Shatt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die siebte Ausgabe des Stuttgarter Festivals Pop Freaks ist die bisher erfolgreichste. Seit dem 10. Januar macht das Kulturzentrum Merlin im Stuttgarter Westen wieder „Propaganda für innovativen deutschen Pop“ – und die Massen folgen gerne. Von Massen kann man tatsächlich sprechen, denn die Konzerte vom Schnulzensänger Dagobert, den Nordlichtern von Die Höchste Eisenbahn oder der südafrikanisch angehauchten Dear Reader waren nicht nur musikalisch ein Erfolg, sondern auch – ausverkauft.

 

Wobei sich das oft erst am Abend selbst zeigt. Vorab ausverkauft sind die Konzerte bei Festivals wie dem Pop Freaks so gut wie nie – was zu erwarten ist, schließlich kommen per Definition keine großen Stars, sondern hoffnungsvolle neue Künstler. Doch am Ende ist jedes zweite Konzert proppevoll – und der Auftritt von Die Höchste Eisenbahn war sogar vorab ausverkauft. Das spricht alles sehr für das Booking des Merlin-Teams um Barbara Bruns und Arne Hübner, und es spricht für den Geschmack des Stuttgarter Publikums.

Es trommelt: Der „Don Corleone of Berlin Rock’n’Roll“

Auch am Mittwochabend war der Vorverkauf überschaubar und das Merlin am Ende doch ordentlich gefüllt. Die, die gekommen waren, wärmten ihr Herz an dem herrlich trockenen Sound sowie an dem wunderbar schrulligen Drummer, für den das Spiel mit zwei Drumsticks offenbar ziemlich ungewöhnlich ist. Stattdessen hält Chris Imler diverse Shaker in der rechten Hand, was seinem Schlagzeugspiel einen ganz leicht rumpelnden und trotzdem straighten Groove gibt. Nicht umsonst wird dieser Mann als „Don Corleone of Berlin Rock’n’Roll“ bezeichnet!

Ein anderer Teil der Selbstbeschreibung von Oum Shatt ist völlig überzogen: Mit arabischer Musik hat die Performance des Trios höchstens assoziativ etwas gemein. Wenn man in der Musikgeschichte eine Linie ziehen müsste, an deren Ende Oum Shatt steht, dann würde diese Linie beim viel zitierten Ian Curtis und seiner Band Joy Division anfangen; auf dem Weg zu Oum Shatt käme man an Sechziger-Western-Soundtracks und der dänischen Wikinger-Dance-Band Who Made Who vorbei, würde Vampire Weekend zuwinken und landete dann bei den Electro-Rock-Indie-Crossover-Helden aus New York, !!! – auch die haben einen seltsamen Bandnamen, man spricht in „Chk Chk Chk“. Oum Shatt spricht man übrigens „Uhm Schatt“ aus. Lautschrift Ende.

Was die Auflistung eigentlich zeigen soll: Oum Shatt spielen ziemlich leichtgängige Musik, tanzbar, ohne Gitarrenbretter, dafür mit leicht düster gestimmten Surf-Gitarren auf knochentrockenem, reduziertem Schlagzeugsound. Über all dem liegt der tiefe Bariton, mit dem man wieder beim eingangs genannten Ian Curtis ist. Bitte bei der nächsten Tour wieder nach Stuttgart kommen!

Was ein Festival leisten kann

Beim Pop-Freaks-Festival geht es traditionell um Pop im besten Wortsinn: Das Merlin stellt nicht etwa Vertreter von irgendwelchen Subkulturen auf die Bühne – sondern Acts, auf die man sich einigen kann. Die aber trotzdem nicht beliebig klingen und auch nicht glatt. Oder zumindest nicht glatt im herkömmlichen Sinn. Dagobert zum Beispiel, der Schweizer Schnulzensänger: dessen Songs sind so Schlager, dass es manchem Zuhörer wehtut. Anderen wärmen sie das Herz; diese Leute singen das ganze Konzert über mit und setzen sich nach dem Konzert für das Erinnerungsfoto bei Dagobert auf den Schoß. Wenn alles ironisch ist, ist es schon fast subversiv, solche Songs zu singen.

Was ein Festival wie das Pop Freaks zu mehr macht als einer bloßen Reihe von Konzerten: Es dient als Plattform für die Szene, man vernetzt sich. So etwa beim Konzert von Trümmer, wo ein Teil der Noiserock-Durchstarter Die Nerven die Abendkasse machte – und mit etlichen Konzertbesuchern nach dem Konzert Richtung Türlenstraße eilte, wo das Trio im Rahmen des Filmwinters selbst ein Konzert gab. Auch bei der drittletzten Veranstaltung des Festivals geht es ums Vernetzen: Am Donnerstagabend bringt das Merlin die Stuttgarter Musikblogger-Szene zu einer Lesung zusammen. Und das ist ja das Schöne daran – dass es so eine Szene in Stuttgart gibt.

Eine Lichtgestalt dieser Szene gibt es an den verbleibenden Pop-Freaks-Tagen noch zu erleben: Levin goes lightly. Der Lo-Fi-Solist spielt die Stuttgarter Locations rauf und runter. Dass es jedes Mal voll ist, spricht dafür, dass man auch diesen Künstler immer und immer wieder sehen möchte. Den Abschluss des Festivals bilden am Samstag Naked Lunch aus Österreich. Die haben ihr Konzert im Zwölfzehn im April mit „Shine On“ beendet – einer hell strahlenden Perle von Song, zu der man alle um einen herum in den Arm nehmen und auf die Zukunft anstoßen möchte. Es wäre auch ein schöner letzter Song für das Pop-Freaks-Festival 2014.