Friseursalons sind Umschlagplätze für Geschichten aus dem Leben. Eine mobile Pop-up-Variante macht nun in Waldenbuch Halt und lädt zum Lauschen statt Föhnen ein. Wir haben den Salon vorab getestet.

Waldenbuch - Wer etwas über andere Menschen erfahren will, sollte einen Friseurtermin vereinbaren. Auf dem Nachbarstuhl schwärmt eine ältere Dame vom neuen Enkelkind. Ein Kunde empört sich über die Mängel des teuren Urlaubsquartiers. Und eine junge Frau plaudert lautstark über die Tücken der Partnersuche im Internet. Nun gibt es die Geschichten unter der Haube auch ohne Shampoo und Stylisten. Die Kulturregion Stuttgart tourt derzeit mit einem mobilen Pop-up-Erzählsalon durch die Mitgliedskommunen. Vom 7. bis 9. September macht er in Waldenbuch Station.

 

Haarstudio im umgestylten Bauwagen

Für gewöhnlich kommt heiße Luft aus einer Trockenhaube. Davon sind die 34 zwei bis drei Minuten langen Textpassagen, die vom Stuttgarter Citizen-Kane-Kollektiv erarbeitet und im Tonstudio aufgenommen wurden, weit entfernt. Im zum Haarstudio umgestylten Bauwagen der Kulturinitiative geht es um Inhalte. Wer es sich unter einer der farbenfrohen Hauben mit Kopfhörerfunktion gemütlich macht, kann etwas über die Menschen erfahren, die in der Region Stuttgart leben, arbeiten, träumen und lieben.

In 23 Gemeinden macht der Wagen Halt – und von dort stammen auch die Vorschläge für die Geschichten. In Waldenbuch haben die Unternehmerin und Kunstsammlerin Marli Hoppe-Ritter und der Stadtführer Hermann Seeger aus ihrem Leben erzählt. Hier und dort kann man die Urheber in den Geschichten erkennen – namentlich benannt werden sie jedoch nicht. „Einige Teilnehmer konnten freier erzählen, wenn sie anonym bleiben, und wir wollten für alle die gleichen Voraussetzungen schaffen“, erzählt Natalie Lang, die als Gastgeberin der Kulturregion den Wagen begleitet und die Hauben bedient.

Friseursalons sind eine Geschichtenküche

Seit 1. Juni ist die Volontärin mit dem Pop-up-Salon auf Tour. „An guten Tagen haben wir hier über 100 Gäste, an schlechten können es aber auch mal nur 20 interessierte Zuhörer sein“, erzählt sie. Das liegt am Wetter, am Standort oder daran, ob der Hauben-Wagen in eine Veranstaltung eingebunden wird. Letzter Halt vor Waldenbuch war Ditzingen. Vom dortigen Kulturamtsleiter Thomas Wolf stammt die Idee des mobilen Erzählstudios mit Friseurcharakter. „Neben der Küche ist das der Ort, an dem bei spontan zusammengewürfelten Treffen die meisten Informationen ausgetauscht werden“, sagt er.

Hier wie dort gibt es Einblicke in Lebenswirklichkeiten, die sonst verborgen bleiben. „Wir wollen das Besondere im Alltäglichen sichtbar machen“, erklärt Wolf. Dazu gehören zum Beispiel der Erfinder, dem eine vielversprechende Idee gestohlen wurde, die 100-jährige Kunsthändlerin, die mit Peter Härtling befreundet war, der Lette aus Esslingen, der über die verlorene Heimat spricht, oder die Schwiegertochter des Malers Fritz Steisslinger, die seit seinem Tod dessen Andenken pflegt.

Im Schnitt hören die Besucher zwei bis drei Geschichten

Unter einer der Hauben sitzt Sandra Kranke. Sie war mit ihren beiden Töchtern auf dem Weg zum Einkaufen, als ihr das auffällige Gefährt ins Auge fiel. Gebannt lauscht sie den Erzählungen einer Malerin und Kalligrafin, die aus Rumänien stammt und mit vielen Vorurteilen kämpfen musste, bis sie beruflich Fuß fassen konnte. Zwei Minuten dauert der Einspieler. Gerade lang genug, bis die Töchter zum Aufbruch drängen. „Das ist eine witzige Idee. Vielleicht komme ich noch einmal vorbei“, sagt Sandra Kranke.

Äußerungen wie diese hört Natalie Lang immer wieder. „Im Schnitt hören die Besucher zwei bis drei Geschichten, dann müssen sie weiter“, hat sie beobachtet. Doch manche kommen auch ein zweites oder drittes Mal und bringen dann mehr Zeit mit. „Wir hatten tatsächlich einen Gast, der über 90 Minuten hinweg alle Spots angehört hat“, erzählt die Salon-Chefin. Und das war dann fast so lang, wie ein Friseur-Besuch mit Waschen, Schneiden, Tönen und Föhnen.