Im CD-Regal stehen dieses Jahr Schmusesänger, Rockröhren und Psychedelika-Versionen von meist englischsprachigen Klassikern. Den Überhit der Adventssaison landen aber wieder einmal Wham – dank Psy und einem gewitzten DJ.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Gut zwei Wochen vor dem Fest haben die Radiosender auf Weihnachtsmodus umgestellt: Popsongs mit Heiligabendbezug kann man kaum entgehen. Was mit „White Christmas“ und „Little Drummer Boy“ bescheiden angefangen hat, ist in den vergangenen 30 Jahren zum eigenständigen Genre geworden. Weihnachtspop zeichnet sich durch eingängige Melodien, gefühlsbetonte (meist englische) Texte und den exzessiven Einsatz von Chören, Glockenspiel und sonstigen Klimperutensilien aus. Ansonsten ist stilistisch fast alles erlaubt, vom Schunkelsound über Benefizpop bis zum Hardrock.

 

2012 lassen sich in diesem Genre mehrere Trends feststellen. Zunächst: am besten verkaufen sich Klassiker, die in konventionellen Klangfarben eingespielt und von bekannten Sängern gesungen werden. Von den aktuellen Weihnachtsalben haben es Rod Stewart und Michael Bublé in die Charts geschafft; auf beiden findet man Berechenbares von „White Christmas“ über „Winter Wonderland“ bis „Silent Night“.

„Neu“ ist im Weihnachtspop relativ

Streng genommen handelt es sich nur bei Rod Stewarts Album um eine Neuerscheinung. Michael Bublé bringt sein im vergangenen Jahr veröffentlichtes „Christmas“ nochmal heraus, ergänzt um drei Songs. „Neu“ ist im Weihnachtspop ohnehin relativ: Die meisten Songs kennt man in- und auswendig; Neukompositionen sind selten. Deshalb kommt es bei Weihnachtsalben auf die Interpretation an.

Hier setzt auch der zweite Trend an: Psychedelische Aufnahmen im Stile der Sechziger und Siebziger. Hippieeske Versionen bekannter Weihnachtslieder liefern etwa The Polyphonic Spree. Das Musikerkollektiv aus Texas hat sein Album „Holidaydream“ komplett in Videofassung auf Youtube hochgeladen. Zu „Winter Wonderland“ sieht man etwa einen von Falten zerfurchten Santa Claus neben Schwarzweißbildern von Kindern im Schneetreiben.

Weihnachtssongs als Gesellschaftskritik

The Polyphonic Spree haben ihre Weihnachtslieder harmonisch verfremdet. Ganz ähnlich macht es der US-Singer/Songwriter Surfjan Stevens, der auf „Silver & Gold“ gleich 58 Songs veröffentlicht, die irgendwie mit Weihnachten zu tun haben. Auch hier geht nichts ohne Internetvideos: Man sieht zwei Moderatoren vor einem Kamin und Christbaum sitzen; so parodieren sie die im Fernsehen immer seltener zu sehenden Werbeclips für Best-of-CD-Boxen.

Man kann das als Zustandsbeschreibung der Welt deuten, die auch im Advent nicht mehr ganz in Ordnung ist, als Gesellschafts- und Konsumkritik. Vor allem hebt es sich aus dem Weihnachtspop-Einerlei hervor.

Psy pimpt „Last Christmas“

Den Massengeschmack trifft das nicht. An Weihnachten machen die meisten jedes Jahr das gleiche. Neue oder gar schräge Musik würde da nur stören. Der dritte Knaller im Pop-Advent trifft insofern voll ins Schwarze: Der sonst nicht weiter bekannte „DJ Paolo Monti“ hat Whams Über-Weihnachtshit „Last Christmas“ mit dem Welthit des Jahres 2012 zusammengemischt: mit Psys „Gangnam Style“. Man kann in dem auf der Plattform Vimeo veröffentlichten Clip zu diesem sogenannten Mashup hören, wie ein Koreaner auf den 1984 erstmals erschienenen George-Michael-Song rappt. Dazu wird das in Saas Fee gedrehte Video gegen die bunten Bilder von Psy und der koreanischen Hauptstadt Seoul geschnitten.

Dieser nicht ganz ernst gemeinte, völlig kostenlose Spaß ist das Highlight der Saison. Pflichtschuldige Alben etwa von der walisischen Opernsängerin Katherine Jenkins, von Carole Kings Kompagnon James Taylor oder von Colbie Callibat kommen dagegen nicht an. Auch die soften Rock’n’Roll-Cover von The Baseballs oder die Metal-Einspielungen der Band August Burns Red bleiben vergleichsweise blass. Das „Grease“-Traumpaar Olivia Newton-John & John Travolta hatte seinen Pop-Moment mit „You’re the one that I want“ – das brave Album „This Christmas“ ist dagegen nur schlaffer Pflichtstoff.

Im Frühjahr über Weihnachten singen

Leicht haben es die Interpreten trotzdem nicht: Weihnachtsalben müssen aus logistischen Gründen im Frühjahr, spätestens im Sommer eingespielt werden. Im Juli wurde auf Youtube ein Video hochgeladen, das Rod Stewart und die sommerlich gekleideten Mitglieder eines Kinderchors bei den Aufnahmen zu seinem Album „Merry Christmas, Baby“ zeigt. Thomas Anders ist in einem Werbevideo für sein Album „Christmas for you“ in Stoffhose und Kurzarmhemd zu sehen. Die Aufnahmen sind offenbar gerade beendet.

„Man freut sich eigentlich auch darauf, es zu hören – obwohl ich jetzt auch mal so ein paar Wochen Abstand brauche, weil ich seit Monaten mit Weihnachten beschäftigt bin“, sagt Thomas Anders in die Kamera. Das kann wohl jeder von sich behaupten: Spätestens nach den Festtagen brauchen wir alle ein bisschen Abstand vom Weihnachtspop.