Es ist der Traum aller Musikproduzenten: Eine Melodie zu schaffen, die hängen bleibt. Ein Forscher aus Australien ist dem Geheimnis auf der Spur.

Die australische Sängerin Kylie Minogue hat wohl mit „Can't Get You Out Of My Head“ einen ziemlich fiesen Ohrwurm produziert, den man – wie der Text schon andeutet – lange nicht mehr aus seinem Kopf bekommt. Der musikalische Ohrwurm hat bekanntlich nichts mit dem gleichnamigen Vertreter aus der Tierwelt zu tun, den sogenannten Dermaptera. Vielmehr versteht man darunter ein eingängiges Musikstück, das einem über einen längeren Zeitraum hinweg im Gedächtnis bleibt.

 

Meist taucht diese musikalische Endlosschleife auf, wenn man gleich gar nicht damit rechnet: Beim Badputzen, beim Warten auf den Bus oder im Meeting, während der Chef gerade einen Vortrag hält. Beispiele sind „Last Christmas“ von Wham! „Cheri, Cheri Lady“ von Modern Talking oder „Listen to your Heart“ von Roxette.

Sind Frauen und Musiker besonders anfällig für Ohrwürmer?

Seit den 1980er Jahren bezeichnet man diese eingängigen Songs im wissenschaftlichen Fachjargon als INMI (involuntary musical imagery). Verschiedenste Wissenschaftler haben bereits versucht, das Phänomen zu erklären, wie die Ohrwürmer entstehen und warum sie sich überhaupt in unsere Gehirne einschleichen. 2014 kamen Hirnforscher zum Beispiel zu dem Schluss, dass Frauen und Musiker besonders anfällig für Ohrwürmer seien.

Auch was sich in unseren Gehirnen bei einem Ohrwurm abspielt, kann nachvollzogen werden: In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin „Spektrum“ hieß es einmal, die Melodie werde beim ersten Hören zunächst in unserem Schläfenlappen abgespeichert: „Das führt zu einem ‘inneren Hören‘, das Lied spielt sich also in Gedanken ab.“ Gleichzeitig werde ein Reizsignal an unseren Stirnlappen versendet. Dieser veranlasse, dass wir die Melodie innerlich im Kopf mitsingen.

Vielleicht ist die Wiederholung des Refrains schuld

Eine Studie der australischen Universität von New South Wales in Sydney versucht nun zu klären, wieso unser Gehirn so reagiert, wie es reagiert. Dabei stellten die Forscher fest, dass das Phänomen „ziemlich häufig“ und „nahezu universell“ ist, wie sie sagen. „Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass bis zu 98 Prozent von uns schon einmal einen Ohrwurm erlebt haben“. Die Forschungsergebnisse, die im Fachmagazin „Music & Science“ veröffentlicht wurden, fassen die Ergebnisse bisheriger Studien zusammen, geprüft und analysiert. Laut Emery Schubert, der die Studie leitete, ist eines der Schlüsselmerkmale, dass die Musik selbst einige Wiederholungen beinhaltet. So seien die meisten bekannten Ohrwürmer Refrains von Liedern, die zwangsläufig die am häufigsten wiederholten Teile eines Stückes seien. Dies ließe die Vermutung zu, „dass Ohrwürmer möglicherweise überhaupt nichts mit den musikalischen Merkmalen zu tun haben“, wie der Professor erklärte. „Es spielt weitgehend keine Rolle, um welche Musik es sich handelt, solange die Wiederholung Teil der Musikstruktur ist.“

Die meisten Leute finden einen Ohrwurm nicht unangenehm

Trotzdem scheint die Wiederholung nur ein Teil der Gleichung zu sein. Weitere Voraussetzungen für einen Ohrwurm sind Aktualität und Vertrautheit mit der Musik. Schubert kam zu dem Schluss, dass sich ein Ohrwurm nur dann aktivieren ließe, wenn wir uns in einem Zustand geringer Aufmerksamkeit befinden.

„Es wird manchmal als Gedankenwandern bezeichnet, was ein Zustand der Entspannung ist“, sagte Schubert. „Das heißt, wer sich intensiv mit seiner Umgebung beschäftigt, sich wirklich auf eine Aufgabe konzentriert, bekommt keinen Ohrwurm“, sagte Schubert. Ein entspannter Geist könne „frei wandern“, und der einfachste Ort ist das sich wiederholende Fragment in einem Lied.

Obwohl Ohrwürmer laut der wissenschaftlichen Untersuchung manchmal eine unerwünschte Ablenkung sein können, finden viele Menschen sie eher angenehm. „Es ist ein bisschen ein Irrglaube, dass sie ein Problem sind“, sagte Schubert.

Einblicke ins menschliche Bewusstsein

Gefürchtet seien nur Ohrwürmer, wenn einem die Musik selbst nicht gefalle. „Dem Ohrwurm ist Genuss egal“, scherzte der Forscher. Hier ginge es nur darum, „wie vertraut die Musik ist, ob vor Kurzem etwas Ähnliches gehört wurde und ob die Musik Wiederholungen enthält“.

Sollte die Melodie unerwünscht sein, so gibt es mehrere Theorien, wie man sie wieder loswird. Laut Schubert könnte helfen, das Musikstück einfach nicht mehr anzuhören, bewusst an ein anderes Lied zu denken oder sich von den Auslösern, wie Wörtern oder Erinnerungen, die sich auf die Musik oder den Text beziehen, zu distanzieren. Laut Schubert erlaubt die Forschung Einblicke in das menschliche Bewusstsein und in die Art und Weise, wie wir Material in unserem Gehirn organisieren und abrufen: „Wir gehen nicht raus, um Ohrwürmer zu finden, sondern Ohrwürmer finden uns.“