Beim Popnotpop-Festival möchte man sich zwei-, drei- oder vierteilen, um nichts zu verpassen. Unserem Autor war das leider nicht möglich. Jan Georg Plavec versucht trotzdem, den Samstagabend adäquat zusammenzufassen. Dabei geht es auch um Bärte.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die Schmerzen beim Besuch einer Veranstaltung wie dem Popnotpop-Festival sind nicht zu unterschätzen. Das liegt natürlich nicht an den auf fünf Stuttgarter Clubs verteilten acht Indie-Bands und hat im Idealfall nichts mit dem zu tun, was die Konzertbesucher um einen herum so treiben. Nein: Man möchte an so einem Abend einfach mehrere Personen sein, sich aufteilen können, um mehr Bands sehen zu können. Geht aber nicht. Schmerzt.

 

Schon zum vierten Mal ist das an diesem Samstagabend so. Das Popnotpop-Logo kriegt man als Popinteressierter dank der zahlreichen Konzerte, die Hannes Steim, Andreas Puscher und Anselm Peyer unter diesem Namen veranstalten, das ganze Jahr über zu sehen. Angefangen aber hat alles mit dem Clubfestival. Und da stecken die Macher logischerweise besonders viel Herzblut und Hirnschmalz rein. Hirnschmalz auch deshalb, weil nicht nur die Bands zusammenpassen müssen. Sie müssen auch auf die passenden Clubs verteilt werden – und sollten im Ablaufplan so geaktet werden, dass sich auch die diesmal rund 2500 Besucher gut auf die Locations verteilen.

Was am Samstagabend hervorragend gelungen ist (entspanner Ablauf, volle, aber nicht überfüllte Clubs) tat bei der ersten Auflage des Popnotpop-Festivals 2010 richtig weh: Damals mussten nicht wenige vor dem wegen Überfüllung geschlossenen Club Schocken herumstehen und erlebten deshalb nur von draußen mit, wie drinnen die seither zu einem gewissen Weltruhm gekommene isländische Band FM Belfast den Schuppen beinahe abgerissen hätte. Womit wir wieder bei den Schmerzen wären.

Die erste Entscheidung des Popnotpop-Abends ist relativ einfach: Children im Schocken oder Charlie Barns im Zwölfzehn? Wir gehen zu Children: gute Musik zum Eingrooven, eine Ein-Mann-und-zwei-Frauen-Band mit Querflöte, aber ohne Schlagzeug. Die Rhythmusgruppe aus dem Computer ist ein bisschen zu leise eingestellt und insgesamt könnte das noch mehr knallen, aber wie gesagt: Stuttgart groovt sich ein, und der Song „Riot“ versöhnt. Jetzt wissen wir außerdem auch, dass der in dem Song immer wiederkehrende Sample von einer Querflöte stammt.

Heimvorteil, klar

Children hören rechtzeitig auf, weshalb laut Line-Up die nächste Entscheidung heißt: Zu Sea + Air ins Rocker 33 oder zu Exclusive in den Keller Klub? Sea + Air sind von hier, sind bekanntermaßen eine Sie und ein Er (überdies verheiratet) und spielen wunderschönen, wie sie es nennen, Kammerpop. Und das, ohne sich zu verrenken, denn sie wollen auch zu zweit klingen wie eine ganze Band. Das zieht reichlich Leute in den Rocker 33. Heimvorteil, klar.

Gut für uns: Sea + Air spielen Ende November noch in Herrenberg, Nürtingen (in der Kreuzkirche) und Ludwigsburg (im Schlagzeugmuseum), weshalb das Bauchweh nicht so groß ist, dass wir stattdessen zu Exclusive in den Keller Klub gehen. Als Freund von Indie-, Dream-Pop- oder New-Wave-Konzerten kennt man den Keller Klub in letzter Zeit leider öfter leer als voll, was natürlich nicht an dem Club liegt sondern vielmehr an den Bands beziehungsweise dem Publikum, das an dem jeweiligen Abend auf andere Dinge abfährt. Umso schöner, dass Bands aus just solchen popmusikalischen Nischen den Keller an diesem Abend vollmachen. Exclusive und später Fuck Art, Let’s Dance passen perfekt in diesen Indie-Schuppen. Und nach dem ruhigen Auftakt im Schocken darf es jetzt ruhig mal krachen.

Exclusive also, eine junge Band aus München, machen etwas wie Nu Rave und haben die ersten drei Reihen textsicherer Mädels natürlich von Anfang an für sich gewonnen. Den Rest kriegen sie mit dem beschriebenen Keller-Klub-Feeling und einer recht energiereich vorgetragenen Show. Was bei einem Festival wie dem Popnotpop fast schon Pflicht ist: die Berlin-Anspielung. Als Mittelstadt, in der die coolen Bands nur dank so umtriebiger Konzertorganisatoren überhaupt Halt machen, fühlt man sich in Stuttgart schnell ein bisschen schlecht gegenüber der coolen oder wenigstens als cool dargestellten Hauptstadt. Angenehm: Als die Münchner, die in der Hauptstadt gerade ihr zweites Album aufnehmen, klagen, es sei eine „scheiß weite Strecke von Berlin nach Stuttgart“, zucken die Besucher einfach mit den Schultern. „Weitertanzen!“, soll das wohl heißen.

Zum Abschluss in die Electro-Höhle

Anstatt hier weitere Schmerzen bei der Auswahl der darauffolgenden Band zu schildern, seien einfach Okta Logue für ihren überaus angenehmen Pop und die schmalzige Hammond-Orgel gelobt. Im Zwölfzehn wollten das etliche sehen. Und auch von Claire, die im Rocker 33 zur Clubnacht überleiteten, wird man noch viel hören. Nach den Festivals im Sommer (darunter Melt und First We Take Berlin) geht es im Herbst in die Clubs, darunter ins Berghain und im Januar auf das Eurosonic in Groningen, wo für gewöhnlich Bands spielen, aus denen mal was wird. Bleibt zu hoffen, dass der Samstag nicht die letzte Gelegenheit war, Claire in Stuttgart zu sehen!

Bei der deutsch-französischen Truppe Yalta Club ist ein Wiedersehen garantiert, die Band spielt am 18. Januar im Zwölfzehn. Wer sie am Samstagabend im Schocken verpasst hat und auf breit grinsenden Indie steht, sollte hingehen. Im Schocken schafft es diese Band, die ersten Reihen zum sanften Pogo zu bewegen (läuft alles ohne Verletzungen ab!). Wie sollte es auch anders sein? Dieses Überdrehte, so eine durch und durch unterhaltsame, aber nie demonstrativ vor sich hergetragene Ironie und auch so nonchalante Oberlippenbärte kriegen Bands aus Italien, Frankreich, Spanien einfach besser hin als die Deutschen. Weil vom Publikum so viel zurückkommt, müssen Yalta Club noch mehr grinsen und spielen auch zwei Zugaben. Eine davon mitten im Publikum, vollakustisch und mit dem kleinsten Klavier, das Stuttgart je gesehen hat. Hohe Unterhaltungskunst ist das!

Und so endet der Band-Teil dieses wieder gut kuratierten, diesmal weitaus stärker von deutschen als von internationalen Acts geprägten Festivals. Im Schocken geht es im Keller mit dem hübsch melodiösen House des Labels Loveit in die Nacht und in der gut gefüllten Electro-Höhle namens Bar Romantica schubst der Stuttgarter Konstantin Sibold das vierte Popnotpop mit seinem Live-Set endgültig in die Welt rein elektronisch erzeugter Tanzmusik.

Ja, es ist wie in der Pressemitteilung angekündigt, „ein popkulturelles Großereignis und ein perfekter Ausgehabend“ geworden. Man darf sich schon auf den nächsten freuen. Denn wehgetan hat’s am Ende ja überhaupt nicht.

Nachtrag 10.11., 15.00 Uhr: Was die Band Exclusive auf Facebook gepostet hat, gehört zu einem vollständigen Bericht über den Abend natürlich dazu: