Porsche-Finanzvorstand Lutz Meschke „Unser Wohlstand ist perspektivisch in Gefahr“

Der Porsche-Finanzchef Lutz Meschke sieht Deutschland in wesentlichen Zukunftstechnologien – auch in der Autoindustrie – als nicht mehr führend an. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Porsche-Finanzchef Lutz Meschke ruft die Politik auf, den Standort Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen, damit Zukunftsinvestitionen nicht nach China und in die USA abfließen.

Am Freitag vor einem Jahr wurde die Porsche-Aktie an der Börse erstmals notiert. Finanzchef Lutz Meschke sieht in ihrer Entwicklung eine Bestätigung der Entscheidung. Er warnt die Politik vor einer unzureichenden Unterstützung von Investitionen in neue Technologien.

 

Herr Meschke, Porsche- und Volkswagen-Chef Oliver Blume verbringt die eine Hälfte seiner Arbeitszeit bei Porsche und die andere Hälfte bei Volkswagen. Heißt das, dass Sie die halbe Woche lang bereits Porsche-Chef sind?

Ich bin zumindest sein Stellvertreter (lacht). Bei Abwesenheit von Oliver Blume habe ich diese Position schon immer ausgefüllt, und durch das Konzern-Engagement von ihm ist das jetzt häufiger der Fall. Auch andere Vorstandsmitglieder haben weitere Aufgaben übernommen. Zudem haben wir eine starke Führungsmannschaft unterhalb des Vorstands, die gerne Verantwortung trägt. Das läuft jetzt seit einem Jahr erfolgreich so. Unsere derzeitigen Ergebnisse zeigen, dass es funktioniert.

Wie kann man sich die Aufgabenteilung vorstellen?

Ich bin ja nicht der klassische Finanzvorstand, der sich allein um die Zahlen kümmert. Schon in der Vergangenheit habe ich immer auch strategische Entscheidungen mitgestaltet. Auch deshalb, weil ich bei Porsche die Themen Digitalisierung und M&A (Fusionen und Übernahmen, d.Red.) führe, die neben der Elektrifizierung ganz entscheidende Faktoren in der Transformation sind. Inhaltlich hat sich daher gar nicht so viel verändert, weil ich die Rolle des Finanzvorstands schon immer etwas anders ausgefüllt und mich im Sinne von Unternehmertum ein Stück weit als interner Berater verstanden habe.

Fast zeitgleich mit dem Chefwechsel bei VW kam der Börsengang von Porsche. Wie sieht Ihre bisherige Bilanz aus?

Wir sind sehr zufrieden. Wir haben den Börsengang in einem äußerst schwierigen Marktumfeld gewagt und konnten zugleich einen äußerst guten Zuspruch verzeichnen, auch seitens der Investoren. Unsere Kapitalmarktstory und die größere unternehmerische Freiheit und Flexibilität haben sie überzeugt. Aus diesem Grund waren wir ziemlich sicher, dass wir einen guten Börsengang hinlegen würden. Die Entwicklung des Kurses hat uns recht gegeben, auch wenn es bei diesem kurzzeitig zu Volatilitäten kommen kann.

Zur Kapitalmarktstory gehörte auch die Aussage, Porsche werde eine größere Eigenständigkeit bekommen, wenn VW nicht mehr allein das Sagen hat.

Wir konnten nach dem Börsengang extrem Tempo aufnehmen, weil wir uns jetzt zu 100 Prozent auf den Porsche-Weg fokussieren können. Bei Kooperationen können wir schneller entscheiden. Gerade im Softwarebereich, wo wir bei automatisierten Funktionen mit Mobileye und beim Infotainment mit Apple zusammenarbeiten. Bei den Batteriezellen haben wir einen anderen Weg gewählt und entschieden, eine eigene Entwicklung und Produktion aufzubauen.

All das wäre ohne Börsengang nicht möglich gewesen?

Jetzt geht es schneller, und wir haben mehr Optionen. Auch in der Vergangenheit haben wir letztlich unsere Strategie umgesetzt, aber mit höherem Aufwand. Wir mussten durch zahlreiche Konzern-Gremien. Das hat Zeit gekostet, die man eigentlich nicht hat. So gesehen war der Börsengang ein Befreiungsschlag – und für alle Seiten eine tolle Entwicklung.

Auch Mercedes will hohe Summen investieren, kauft aber eigene Aktien zurück. Planen Sie das ebenfalls?

Das ist aktuell kein Thema bei der Porsche AG, da wir grundsätzlich Interesse an einem vitalen Free Float haben. Und wir glauben, dass mit Blick auf unsere Kunden und den Kapitalmarkt unsere geplanten Investments in unser Geschäft besser sind, als Aktien zurückzukaufen.

Sie planen hohe Investitionen in eine eigene Fertigung von Batteriezellen. Stimmt es, dass Sie in Brandenburg eine Gigafabrik errichten wollen?

Wir bauen jetzt erst einmal eine Pilotfertigung in Kirchentellinsfurt mit einer Kapazität von einer Gigawattstunde pro Jahr. Mittelfristig wollen wir zusammen mit strategischen Partnern und Investoren auf bis zu 20 Gigawattstunden gehen und brauchen dafür einen neuen Standort. Über diesen sprechen wir gerade mit Behörden und Regierungen weltweit.

Welche Chancen hat Deutschland, Standort für die geplante Gigafabrik zu werden?

Zunächst möchte ich betonen: Wir wollen nichts geschenkt bekommen und müssen zuerst unsere eigenen Hausaufgaben machen. Das tun wir, indem wir in die neuen Technologien investieren. In Deutschland spielen insbesondere die Energiepreise eine entscheidende Rolle. Zum Beispiel möchte der Volkswagen-Konzern in den nächsten Jahren Kapazitäten von 240 Gigawattstunden errichten. Da macht ein Preisunterschied beim Strom von einem Cent pro Kilowattstunde einen Kostenunterschied von bis zu 100 Millionen Euro pro Jahr aus. Und der Strompreis ist in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern weit mehr als einen Cent teurer. Wenn Deutschland als Standort infrage kommen soll, muss an dieser Stelle etwas passieren. Das sagen wir den Politikern auch ganz klar.

Sollte Deutschland einen verbilligten Strompreis für energieintensive Industrieunternehmen einführen?

Im Moment sehe ich keine andere Lösung, weil die Hausaufgaben in Deutschland nicht gemacht wurden. Beim Ausbau der regenerativen Energie wie Solar und Wind sind wir viel zu langsam vorangekommen. Wenn in Deutschland in Zukunftstechnologien investiert werden soll, müssen wir bei den Energiekosten und der Dauer der Genehmigungsverfahren Rahmenbedingungen schaffen, die vergleichbar sind mit anderen Wettbewerbsstandorten. Bereits bei der Produktion von Solarmodulen wurde das politisch nicht ernsthaft umgesetzt und das Feld am Ende komplett chinesischen Herstellern überlassen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es hier aussieht, falls sich das bei der Autoindustrie wiederholen sollte.

Wie sind Deutschland und Europa im Wettbewerb mit den großen Wirtschaftsblöcken USA und China aufgestellt?

Man muss wirklich nicht alles gut finden, was in China läuft. Aber dort ist zwischen der Regierung und der Industrie eine gemeinsame Industriestrategie entwickelt worden, während die EU ihrerseits sehr großen Wert auf eine strikte Trennung legt. Wenn ich eine schnelle Entwicklung in Zukunftsfeldern wie der Elektrifizierung und den digitalen Technologien haben will, ist eine gemeinsame Strategie von Politik und Wirtschaft aber hilfreich. Dabei möchte ich aber betonen, dass wir bei Porsche für freien Wettbewerb stehen und nichts von Protektionismus halten.

Wie sehen Sie das Zusammenwirken zwischen Politik und Wirtschaft in den USA?

Dort hat die Regierung sofort auf die schwierige Marktsituation reagiert – mit dem Inflation Reduction Act, der klimafreundliche Investitionen massiv unterstützt. Unternehmen erhalten zudem innerhalb von wenigen Wochen Entscheidungen über Förderanträge. Warum kann das Europa nicht? Dann blieben viele Zukunftsinvestitionen in Deutschland oder Europa. Wenn aber andere Weltregionen solche Zukunftsinvestitionen an sich ziehen und die EU dem nichts entgegenzusetzen hat, sind die Manager geradezu gezwungen, sich dorthin zu orientieren.

Wie wichtig ist es für Deutschland und Baden-Württemberg, die Abhängigkeit von fossilen Verbrennungsprozessen abzubauen und in Richtung einer CO2-neutralen Wirtschaft zu steuern?

Um es ganz klar zu sagen: Unser Wohlstand ist perspektivisch in Gefahr. Wenn wir den Hebel jetzt nicht umlegen, werden wir bald keine Rolle mehr spielen. Wir reden da nicht von einer Zeitspanne von 50, sondern eher von fünf bis 15 Jahren. Wir leben gut von unserer starken Wirtschaft. Aber jeder muss verstehen, dass wir in wesentlichen Zukunftstechnologien heute nicht mehr führend sind, nicht einmal mehr in der Automobilindustrie. Das konnte sich vor einigen Jahren noch niemand vorstellen.

Porsche hat schon vor Jahren davor gewarnt, den Technologiewandel zu langsam anzugehen.

Das wollte damals keiner hören. Viele in Deutschland und Baden-Württemberg wollten weiterhin auf alte Technologien setzen, weil dort viele Arbeitskräfte tätig waren. Aber wer nicht rechtzeitig umsteuert, der schafft die Transformation der Menschen in Richtung Zukunftstechnologien nicht. Irgendwann sind alle Arbeitsplätze bei den konventionellen Technologien weg, und es fehlen die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten. Ministerpräsident Kretschmann und seine Landesregierung setzen sich meines Wissens in Brüssel für den Erhalt von Industrie und Wohlstand ein und versuchen, Druck aufzubauen. Aber als Landespolitiker sind ihnen da Limits gesetzt. Wir schauen nach Berlin und Brüssel. Porsche hat wie viele andere Unternehmen derzeit sehr konkrete, große Projekte zu Zukunftstechnologien wie Digitalisierung und Elektrifizierung einschließlich Batteriezellen. Diese Themen müssen unseren Standort in die Zukunft tragen. Wenn sich Firmen jetzt entscheiden, diese Investitionen nicht mehr in Deutschland oder Europa vorzunehmen, sondern in den USA oder in Kanada, bekommen wir hier ein massives Problem. Diese Entwicklung lässt sich dann auch nicht mehr so einfach zurückdrehen.

Blumes Stellvertreter bei Porsche

Beruf
Der 1966 im nordrhein-westfälischen Hilden geborene Lutz Meschke ist seit 2015 Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Porsche AG und verantwortlich für Finanzen und IT. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Köln war er in verschiedenen Leitungsfunktionen für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG tätig, unter anderem in Mailand. Nach einer Zwischenstation bei der Hugo Boss AG ist er seit 2001 für Porsche tätig.

Privat
Lutz Meschke ist Fußballfan und von Haus aus Anhänger von Borussia Mönchengladbach. Selbst war er Spielmacher beim Landesligisten Britannia 08 Solingen. Regie führte er auch beim Einstieg von Porsche als Investor des VfB Stuttgart. Meschke ist in zweiter Ehe verheiratet und hat sechs Kinder. red

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