Carsten Gündert aus Münchingen sitzt seit mehr als zehn Jahren im Rollstuhl. Eine kostspielige Operation, die ihm Hoffnung macht, hat er aus eigener Tasche bezahlt. Jetzt greifen ihm die Kollegen bei Porsche unter die Arme.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Carsten Gündert wirkt zuversichtlich, im Gespräch lacht er viel. Das habe er eigentlich schon immer gemacht, sagt er. An manchen Tagen ist ihm aber überhaupt nicht danach zumute. „Klar gibt es Momente, da habe ich auf gar nichts Bock“, sagt der 33-Jährige. „Aber einen Durchhänger hat ja jeder mal.“ Wobei man dem Mann aus Münchingen (Kreis Ludwigsburg)   solche Momente besonders zugestehen möchte.

 

Im Januar 2012 hatte Gündert einen schweren Unfall. Er stürzte. Näher ausführen, was damals passierte, möchte er nicht. Seitdem ist er zwischen dem fünften und sechsten Brustwirbel abwärts gelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Für den gelernten Kfz-Mechatroniker, der damals in Reutlingen arbeitete und sich zum Automobilverkäufer weiterbildete, war das Leben von jetzt auf gleich ein anderes.

Gündert sieht neue OP-Methode im Fernsehen

Für die Familie war der Unfall ein Schock. Über die Jahre hat sich Carsten Gündert, der seit 2014 bei Porsche in Zuffenhausen arbeitet, an das Leben im Rollstuhl gewöhnt. Sein Onkel stellte ihm eine Wohnung zur Verfügung, die er barrierefrei umgestalten konnte. Überhaupt: Ohne den Rückhalt von Familie, Freunden – einige wohnen in den USA – und Kollegen wäre vieles nicht möglich gewesen. Das betont Gündert immer wieder.

Große Hoffnung, dass es noch einmal anders werden würde, hatte er lange Zeit nicht. Bis er Anfang des Jahres in der Fernsehsendung Stern-TV einen Beitrag über die Possover-Lion-Methode sah. Mit der Operation, die der französische Chirurg und Gynäkologe Marc Possover entwickelt hat, sollen Querschnittsgelähmte wieder laufen lernen. Dazu werden Elektroden und ein sogenannter Pacemaker – ein Schrittmacher – implantiert. Mittels Strom werden die Nervenenden im Becken so stimuliert, dass die Patienten ihre Kniegelenke strecken können. Im besten Fall sollen die Nerven so angeregt werden, dass neue Fasern wachsen und wieder eine Verknüpfung mit dem Gehirn entsteht.

Krankenkasse zahlt den Eingriff nicht

Da sich Gündert nicht sicher war, ob er überhaupt für den Eingriff in Frage kommt und sich eine Enttäuschung ersparen wollte, nahm seine Mutter Kontakt mit der Klinik in Zürich auf – und die meldete sich zwei Tage später zurück. Im April reiste Gündert in die Schweiz und ließ sich untersuchen. Eine wichtige Frage dabei: Inwiefern ist der Münchinger bereit, für einen nachhaltigen Erfolg zu arbeiten, sich auch ein bisschen zu quälen? Der 33-Jährige überzeugte den Arzt, dass er das ist, der OP stand im Grunde nichts mehr im Weg – außer das liebe Geld.

Da die Methode in Deutschland bislang nicht anerkannt ist, übernahm die Krankenkasse die Kosten nicht. „Wir haben Einspruch eingelegt, seitdem aber nichts mehr gehört.“ Gündert blieb nichts anderes übrig, als den Eingriff selbst zu bezahlen – und wieder einmal war die Familie zur Stelle und unterstützte ihn. „Ich hatte Glück, dass ich das Geld überhaupt zusammenbekommen habe“, sagt der Fußballfan. Einen „hohen fünfstelligen“ Betrag kratzte er zusammen, Ende August wurde er in Zürich operiert.

Kollegen bei Porsche überwältigt von Spendenbereitschaft

Für den 33-Jährigen bedeutet die OP vor allem eins: Hoffnung. Hoffnung darauf, dass er zumindest wieder eigenständig stehen kann, vielleicht sogar irgendwann wieder ein paar Schritte gehen. Für seinen Alltag wäre schon ersteres ein enormer Unterschied. „Beim Anziehen zum Beispiel, oder auch um mal ein Glas aus dem Küchenschrank zu holen oder ein Fenster zu öffnen“, so Gündert. Früher, als er noch laufen konnte, habe er sich über solche Banalitäten keine Gedanken gemacht – aber als Rollstuhlfahrer seien das große Hürden.

Vor allem psychisch habe die Operation einiges bewirkt. „Die Krankengymnastik lohnt sich beispielsweise wieder viel mehr, weil ich weiß, wofür ich arbeite“, sagt Gündert. Daheim trainiert er weiter. Mit einer kleinen Fernbedienung kann er die Nerven im Becken stimulieren, wenn das Bein ausgestreckt ist, muss er dagegenhalten. So sollen die Muskeln wachsen. Carsten Gündert ist sich aber bewusst, dass ein Erfolg trotz aller Anstrengung nicht garantiert ist.

Dass der 33-Jährige den Schritt, sich operieren zu lassen, gewagt hat, hat seinen Kollegen bei Porsche viel Respekt abgenötigt. Mit der finanziellen Belastung allein lassen wollten Thomas Varitis und Melanie Zanker Gündert nicht. „Uns hat es auch ein bisschen gewundert, dass sich deutsche Krankenkassen da querstellen“, sagt Varitis. Deshalb haben sie vor einigen Wochen eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Der Begünstige sollte davon eigentlich nichts erfahren, geplant war eine Weihnachtsüberraschung.

Daraus wurde nichts. Ein Bekannter sprach den da noch unwissenden Gündert auf dem Sportplatz auf die Aktion an. „Ich dachte erst einmal: wovon redet der“, sagt Gündert. Als er sah, wie viel schon zusammengekommen war, war er baff: Anfang dieser Woche waren es etwas mehr als 30 000 Euro. Wohl haben auch die Mitglieder des TSV Münchingen, bei dem Carsten Gündert früher selbst kickte, schon fleißig gespendet.

Varitis und Zanker waren überrascht über die große Spendenbereitschaft. „Wir wären auch schon mit ein paar Tausend Euro zufrieden gewesen“, so Varitis. Ihr erklärtes Ziel sind aber 85 000 Euro. Die Initiatoren sind inzwischen guter Hoffnung, dass die Summe tatsächlich zusammenkommt. Auch wenn sie das am Anfang überhaupt nicht für möglich hielten. 

100 Patienten bislang so operiert

Operation
 „70 Prozent unserer Patienten sind wieder in der Lage, die Beine mit ihrem Kopf zu steuern“, sagt Marc Possover, der weltweit inzwischen etwa 100 Patienten mit dem Verfahren operiert hat. Weitere Informationen zu dem Eingriff gibt es online unter: www.possover.com

Aktion
 Die Spendenaktion für Carsten Gündert läuft bis zum 9. Dezember: https://gf.me/v/c/5ft6/carsten-gndert-kosten-fr-operation